Schnelleinstieg:

Direkt zum Inhalt springen (Alt 1) Direkt zur Hauptnavigation springen (Alt 2)

Frankfurter Buchmesse und der Hype um New Adult
Neue Liebesromane verändern die Branche

Zahlreiche Menschen passieren den zartrosanen Stand von LYX auf der Leipziger Buchmesse 2025.
Zartrosanene Verführung: Der Stand von LYX | © picture alliance/dpa | Jan Woitas

Das Genre „New Adult“ füllt nicht nur Buchhandlungen und Bestsellerlisten. Es verändert auch die Buchbranche. Was lange als leichte Lektüre belächelt wurde, mischt Verlage wie Buchmesse auf – und zwingt das Feuilleton zum Umdenken.

Von Miriam Zeh

Auf der Frankfurter Buchmesse sind die neuen Kräfteverhältnisse in der deutschen Verlagslandschaft längst sichtbar: Kaum öffnen die Tore der weltgrößten Bücherschau, herrscht Gedränge am glitzernd-pastellfarbenen Stand von Lyx. Das New-Adult-Imprint der Bastei-Lübbe-Verlagsgruppe beheimatet mit Mona Kasten, Laura Kneidl und Anabelle Stehl Deutschlands erfolgreichste Autorinnen in diesem boomenden Genre.

Enemies to Lovers

Und sogar einen internationalen Rekord konnte der laut Verlagsbeschreibung „Safe Space für alle, die das Lesen lieben“, im letzten Jahr verzeichnen: Die Serienadaption von Mona Kastens Romance-Reihe Maxton Hall ist die meistgestreamte nicht-amerikanische Serie, die Amazon je produziert hat. Dabei spielt die Coming-of-Age-Geschichte gar nicht in Deutschland, sondern an einer elitären britischen Privatschule – ganz im Sinne der in den sozialen Netzwerken geprägten Ästhetik des „Dark Academia“. Hier trifft die strebsame, gutherzige und aus einfachen Verhältnissen stammende Ruby Bell auf den verwöhnten Erben James Beaufort. Aus ihrer anfänglichen Feindschaft entsteht bald eine intensive Liebesbeziehung. Ein tausendfach variiertes Erzählmuster, eine sogenannte Trope, und Erfolgsrezept dieser Literatur: enemies to lovers, aus Feinden wird ein Liebespaar.

Gen Z stabilisiert den Markt

Während der Börsenverein des deutschen Buchhandels für 2024 in den meisten Altersgruppen rückläufige Buchkäufe verzeichnet, gilt das nicht für die 16- bis 29-Jährigen. Sie greifen häufiger zum Buch, und zwar besonders häufig zu einem Romance- oder Romantasy-Roman. So hält – neben steigenden Ladenpreisen – auch die Generation Z mit ihren Geschichten über schmachtende Privatschülerinnen, blutrünstige Alchemisten und sexy Drachenreiter den Gesamtumsatz der krisengeschüttelten Buchbranche stabil.

Verlage haben auf den Boom der neuen Liebesromane längst reagiert: Viele große Verlagshäuser haben mittlerweile ein New-Adult-Imprint oder andere Angebote für die junge, vor allem weibliche Zielgruppe. Ihr werden nicht nur die oft aufwändig gestalteten Bücher mit Goldprägungen, Glitter und Farbschnitt verkauft. Imprints wie Lyx (Bastei Lübbe), Kyss (Rowohlt), Everlove (Piper) oder Forever (Ullstein) setzen auf gemeinschaftsbildende Kommunikation mit ihren Leserinnen durch Newsletter, auf Social Media und bei realen Events. Auch die Frankfurter Buchmesse hat das Potenzial erkannt und ihre Infrastruktur entsprechend angepasst: Seit 2024 gibt es in Frankfurt eine eigene Halle für New-Adult-Literatur – mit viel Platz für Signierstunden und Warteschlangen für die jungen Publikumsmassen.

Gelähmt vom Hype

Man sollte meinen: Diese Machtverschiebung kann doch auch das Feuilleton nicht länger ignorieren. Doch Rezensionen zu Antonia Wesselings aktuellem Romance-Thriller Loverboy – Niemand liebt dich so wie ich oder SenLinYus aus dem Englischen übersetzten Erfolgs-Fan-Fiction Alchemised sucht man größtenteils vergeblich. Die boomende Genre-Literatur rückt zwar immer wieder in den literaturjournalistischen Fokus, in der Regel jedoch in Form einer erstaunten Betrachtung des Gesamtphänomens. Eine andere Umgangsweise mit New Adult-Romanen, geschweige denn Kriterien für ihre Einordnung und Bewertung hat die deutsche Literaturkritik noch nicht gefunden.

Wie schwer sie sich mit erfolgreicher Unterhaltungsliteratur im Allgemeinen tut, zeigen die jüngsten Diskussionen um den neuen Roman von Caroline Wahl. Die 30-jährige Autorin schrieb mit 22 Bahnen (2023) und Windstärke 17 (2024) zwei der erfolgreichsten deutschen Bücher der letzten Jahre. Mit Spannung wurde diesen Herbst deshalb Die Assistentin erwartet, zumal Wahl darin von rührseligen Coming-of-Age-Geschichten ihrer Vorgängerromane zur autobiographisch grundierten Machtmissbrauchs-Erzählung in der Verlagsbranche wechselte. Wie ihre Romanfigur Charlotte arbeitete auch Wahl als Assistentin eines deutschsprachigen Verlegers. In Die Assistentin erweist sich dieser Chef bald als übergriffig und manipulativ, demütigt seine junge Mitarbeiterin mit absurden Arbeitsaufträgen und Kommentaren zu ihrem Äußeren.

Wenn das Netz kritischer ist als das Feuilleton

Kurz nach der Veröffentlichung zeigten sich Wahls Fans in den sozialen Netzwerken enttäuscht über den Roman, der nicht nur von Machtmissbrauch erzählt, sondern die eigene Erzählweise permanent selbst kommentiert. Auch auf Streamingplattformen hagelte es Kritik für das von Wahl selbst sehr laienhaft eingesprochene Hörbuch. Zusätzlich angeheizt wurde die Diskussion um ihre Person durch selbstüberschätzende Interviewaussagen der Autorin. Das Feuilleton hingegen tat sich schwer mit einem kritischen Urteil. Stattdessen wurde Caroline Wahl befragt oder bei einem Spaziergang an der heimatlichen Kieler Förde porträtiert. Es schien häufig, als fehlten Kriterien, um die nah an der Unterhaltungsliteratur angesiedelten und aus Erzählmustern gebauten Wahl’schen Romane zu fassen. Jahrzehntelang hat die tendenziell elitäre deutschsprachige Literaturkritik schließlich genau diese leichten und marktgängigen Lektüren links liegen gelassen.

Einladung zur Gegenwartsanalyse

Nun aber zwingen die angespannte Situation auf dem Buchmarkt und der eigene Bedeutungsverlust das Feuilleton nicht nur zum Umdenken. Es rückt auch eine neue, oft literatursoziologisch geschulte Generation in die Mitte des Literaturbetriebs, die weniger Berührungsängste hat mit Marktgängigkeit und Unterhaltung. Die Bestseller von Caroline Wahl schlicht als „Midcult“ abzutun – jener vom Literaturwissenschaftler Moritz Baßler eingeführten Kategorie, die Romane bezeichnet, die politischen Anspruch und Literarizität allenfalls vorgaukeln – scheint jedenfalls keine Option mehr.

Genau wie für das absatzstarke New Adult-Segment gilt auch für Bestseller, dass die Literaturkritik einen Umgang mit ihnen finden muss, der sozio-ökonomischen Dimensionen ebenso erfassen und einordnen kann wie literarische Qualität. Ein Bestseller sagt schließlich auch etwas aus über die Gegenwart, in der er gelesen wird. Wenn sich auf der Frankfurter Buchmesse also wieder Schlangen bilden vor den glitzernd-pastellfarbenen Ständen und am Signiertisch von Caroline Wahl oder Sebastian Fitzek, sollte das für die Buchbranche kein Grund zum Kulturpessimismus sein, sondern eine Einladung zur Gegenwartsanalyse.

Top