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Buchhandlungen
Buchhandlungen in Vereinsform: eine Verbindung von Kultur und Kollektiv

Auf dem Foto sieht man die geöffneten Türen einer Buchhandlung
© Stéphane Rouet

Neben traditionellen Buchhandlungen gibt es auch einige in in Vereinsform organisierte Buchläden, die gemeinschaftliche, humanitäre, gemeinnützige oder auch aktivistische Projekte unterstützen und gleichzeitig ein kommerzielles Angebot bereitstellen. Was veranlasst sie, sich als Verein aufzustellen? Ist das nur eine Frage der Rechtsform oder eine bewusste Entscheidung? Und was unterscheidet sie von anderen Buchläden? Darauf antworten Mathilde Rimaud, Spezialistin für die wirtschaftliche Entwicklung von Verlagen und Buchhandlungen, und Stéphane Rouet, Mitgründer der Buchhandlung Disparate in Bordeaux, und teilen ihre persönlichen Erkenntnisse.

Von Claire Géhin

„Und du, was liest du denn gern?“
„Ich? Ich lese gar nicht.“

Diesen Austausch bekam ich 2013 in Berlin in der Buchhandlung des Vereins Berliner Büchertisch mit. Während eines Praktikums stellte ich gemeinsam mit einem etwa fünfzigjährigen Teilnehmer einer Wiedereingliederungsmaßnahme die Lieferungen des Onlineshops zusammen. Zwischen all den Angestellten und Ehrenamtlichen, die sich für Bücher und Literatur begeisterten, gab es also auch Menschen, die aus anderen Gründen zum Mehringdamm an der Linie 7 der Berliner U-Bahn kamen: um wieder am Arbeitsleben teilzunehmen, die Isolation zu verlassen und in einer Gemeinschaft mitanzupacken.

Der Berliner Büchertisch setzt sich seit 2004 für die Leseförderung ein. Mit seinen zwei Läden für gebrauchte Bücher in den Vierteln Neukölln und Rixdorf engagiert er sich ebenso für das Buch wie für den Menschen und bietet zum Beispiel Aktionen an wie „Ein Kind, ein Buch“: Jedes Kind unter 16 Jahren darf bei einem Besuch einmal am Tag kostenlos ein Buch mitnehmen. Insgesamt spendet der Verein so jährlich ganze 30.000 Bücher an Privatpersonen, Schulbüchereien, Kitas oder andere interessierte Einrichtungen.

Kürzlich wurde die Buchhandlung zudem eine Genossenschaft, eine weitere wichtige Rechtsform der Sozialen und Solidarischen Ökonomie (SSE). Das Unternehmen gehört den Mitgliedern gemeinsam und wird demokratisch geführt, so können alle mitbestimmen und Projekte zusammen umsetzen. „Wir sehen dieses Modell schon seit einigen Jahren aufkommen“, bestätigt Mathilde Rimaud, „zum Beispiel bei den Buchhandlungen Les Volcans in Clermont-Ferrand und La Cavale in Montpellier … Aber es bleibt ein sehr kleiner Anteil.“

Manche Buchhandlungen entscheiden sich trotzdem dafür, die Vereinsform beizubehalten, vor allem, wenn es sich um ein politisches Projekt handelt. So auch Le Texte Libre in Cognac, eine seit über vierzig Jahren unabhängige Buchhandlung: „Dort arbeiten zwei gelernte Buchhändlerinnen“, erzählt Mathilde Rimaud, „aber sie wird von einem Verein getragen, der sich sehr aktiv in die Leitung einbringt; Ehrenamtliche übernehmen die Verwaltung und einen Teil der geschäftlichen Aufgaben: den Empfang, die Kommunikation, die Vertretung auf Messen …“ Doch bei aller idealistischen Begeisterung gibt Mathilde Rimaud auch zu bedenken: „Das Wichtigste ist, die Rechtsform zu wählen, die am besten zu dem jeweiligen Projekt und den Beteiligten passt.“

Denn über den rechtlichen Rahmen hinaus bilden auch die Werte das Grundgerüst eines Vereinsprojekts. Der Berliner Büchertisch zum Beispiel engagiert sich für die Umwelt. Auf der Website der Buchhandlung steht: „Die deutsche Buchbranche produziert jedes Jahr mehr als 400 Millionen Neubücher, wofür Energie, Wasser, Holz, Druckfarben und Klebstoffe verwendet werden.“ In Frankreich erschienen 2023 auf den traditionellen Vertriebswegen der Verlage täglich über 100 neue Titel.
 

Klebstoff, Schere und Farbe sind auch genau das, was die Vereinsbuchhandlung Disparate in Bordeaux möglichst vielen Menschen in die Hand geben will. Auch sie hat sich für ein alternatives Modell fernab der Buchindustrie entschieden. Die Buchhandlung ist auf Fanzines und Kleinstverlage spezialisiert und setzt sich seit 2013 für eine „kreative, solidarische und kollaborative“ Wirtschaft ein. Der Laden ist eine Präsentationsfläche für die Projekte des Vereins und die Kreationen der Mitglieder – ein Ort der Begegnung, der dem Verein nichts einbringt. „Die Mitgliedschaft kostet 10 Euro im Jahr. Wir stellen ausschließlich den Raum zur Verfügung und verdienen nichts am Verkauf mit“, erklärt Stéphane Rouet, einer der Gründer. Keine Marge bedeutet auch ein vielfältigeres Angebot: Da es keinen finanziellen Gewinn bringt, bestimmte Titel auffälliger als andere zu platzieren, kann die Buchhandlung „jedem eine Chance geben.“

Disparate beschäftigt aktuell zwei Angestellte in Teilzeit und ist fest in die Vereinslandschaft der Region integriert: „Die Vereinsform hat auch eine symbolische Bedeutung. Wir verteidigen sie gern wegen all der Werte, für die sie steht. Denn Vereine sorgen für gesellschaftlichen Zusammenhalt, menschliche Verbindungen, das Leben im Viertel …“, betont Stéphane Rouet.

In Zeiten großer politischer Schwierigkeiten in Frankreich und Deutschland klingen diese letzten Worte wie mögliche Lösungen, zu denen uns einige Buchhandlungen in Vereinsform durchaus inspirieren könnten …
 

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