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Deutsche Serien in Nordamerika
Die Therapie

Hauptmotiv der Amazon Prime Serie Die Therapie
© Amazon Prime

Die sechsteilige Miniserie Die Therapie auf Prime Video beginnt wie ein klassischer Hitchcock-Stoff: Der renommierte Psychologe Viktor Larenz (Stephan Kampwirth) sitzt unruhig im Berliner Wartezimmer, während seine jugendliche Tochter Josy (Helena Zengel) untersucht wird – sie leidet an unerklärlichen, womöglich psychosomatischen Beschwerden. Viktor wartet. Und wartet. Als er schließlich in den Behandlungsraum stürmt, blickt er in ratlose Gesichter: Josy war nie da, sagen die Ärzte. Sie sei nie dagewesen. Ist Viktor Opfer einer Verschwörung?

Von Mark Tompkins

Josys Verschwinden bleibt ungelöst. Viktors Ehe zerbricht, er zieht sich auf die fiktive Nordseeinsel Parkum zurück. Seine selbstgewählte Isolation wird durch die Ankunft einer mysteriösen jungen Frau gestört: Anna Spiegel (Emma Bading), die behauptet, schizophren zu sein – und Romane zu schreiben, die später Wirklichkeit werden. Einer dieser Texte soll Josys Verschwinden vorhergesagt haben. Sie fleht Viktor an, sie zu therapieren. Doch bald wird klar: Nicht Anna ist die Gefährdete, sondern Viktors geistige Gesundheit. Und womöglich spielt Anna ein gefährliches Spiel mit ihm.

Vernunft ist eine Frage der Perspektive

Der Auftakt von Therapy, alias Sebastian Fitzeks Die Therapie, setzt den Ton für einen Psychothriller, der sein Publikum konsequent im Ungewissen hält. In Rückblenden sehen wir, wie Viktor alles daran setzt, seine Tochter zu beschützen ... oder besser gesagt: überzuschützen. Fast scheint es, als wolle er Josy vor dem Erwachsenwerden selbst bewahren. Andere Rückblicke zeigen das quälende Warten der Eltern, gemeinsam und dann zunehmend getrennt, auf Antworten von der Polizei.

In der Gegenwart wird Viktors Rückzug auf die windgepeitschte Insel zunehmend unheimlich. Anna Spiegel scheint viel zu viel über Josys Verschwinden zu wissen, agiert nicht wie eine Patientin, sondern eher wie eine Stalkerin. Aufmerksame Zuschauer*innen merken früh: In dieser Geschichte stimmt einiges nicht. Während die Realität auf Parkum zerfasert, flüchtet sich Viktor in surreale Visionen, in denen er seiner Tochter wieder begegnet.
Parallel folgt ein zweiter Handlungsstrang dem eigensinnigen Arzt Martin Roth (Trystan Pütter), dessen experimentelle Medikamententherapien nicht nur seinen Job an einer renommierten Berliner Klinik gefährden, sondern auch seine moralische Integrität. Auf der Jagd nach Opiaten durchstreift er zwielichtige Ecken Berlins – Realismus pur. Wie seine Geschichte mit Viktors Drama zusammenhängt, bleibt lange rätselhaft. Und die zentrale Frage bleibt: Gibt es in dieser Geschichte überhaupt einen Helden? Oder nur Getriebene?

Ein Terrorregime - auf den Bestsellerlisten

Therapy basiert auf Die Therapie (2007), dem Debütroman von Sebastian Fitzek – und seinem ersten Megahit. Seither veröffentlicht Fitzek Jahr für Jahr einen neuen „Psychothriller“ (so nennt sich das Subgenre im Deutschen), und hat sich vom Bestsellerautor zum popkulturellen Phänomen entwickelt. In deutschen Bahnhofsbuchhandlungen ist sein Werk unübersehbar: schwarze Taschenbuchberge, Titel in nervöser Schocker-Schrift, schlaflose Nächte garantiert.

Auf Lesereise tourt Fitzek im eigenen Bus mit Namensaufdruck. Als er im Dezember 2024 in Berlin las, fand das Event nicht etwa in einer Buchhandlung oder Aula statt, sondern in der Uber Arena – jener Halle, in der sonst Eishockey gespielt und internationale Musikstars auftreten.

Kritiker rümpfen bei so viel Massenerfolg gern die Nase. Aber die neugierige Frage bleibt: Warum funktionieren Fitzeks Geschichten so verdammt gut? Es sind keine gemütlichen Krimis für die Schwiegermutter, auch keine nüchternen Polizeiprotokolle – sondern düstere, verstörende Abfahrten ins Abgründige. Blut, Gewalt, psychische Zerrüttung – und eine Hauptfigur, die selten heil aus der Geschichte rauskommt. Oder sich selbst noch erkennt.

Noir mit Turboantrieb

Kein Wunder, dass TV- und Filmproduzenten Fitzeks Stoffe früh entdeckt haben. Der Thriller Abgeschnitten (2018), nach dem gleichnamigen Roman von 2012, den Fitzek gemeinsam mit dem Rechtsmediziner Michael Tsokos schrieb (für die fachgerechten Grausamkeiten, versteht sich), ist eine Art Lehrbuch des Fitzek-Stils: Noir auf Steroiden. Alles düster, alles kaputt, Farbpalette: Schwarz bis Mitternachtsblau. Für alle, denen David-Fincher-Filme zu fröhlich sind.
Amazon Prime Video Deutschland

Zunächst wirkt Therapy deutlich gemäßigter, fast realistisch. Doch das ist nur Tarnung und Teil des Vergnügens, wenn man hier überhaupt von „Vergnügen“ sprechen will. Die Realität kippt langsam in eine albtraumhafte Kulisse, Viktors Rückzugsort wird zum psychischen Spiegelkabinett. In der Mitte der Serie reißt die Handlung regelrecht auseinander und das Publikum muss sich neu orientieren.

Heil dich selbst, Therapeut

So weit, so typisch Psychothriller. Aber Fitzeks Romane wären keine Pageturner, wenn die Schocks zur Halbzeit aufhörten. Auch Therapy trumpft in den letzten Episoden mit Wendungen auf, die alles bisher Erlebte infrage stellen. (Plausibilität hat zu diesem Zeitpunkt allerdings längst das Feld geräumt.) Überraschend dabei: Nicht nur wir erleben Wahnvorstellungen – auch der Therapeut, Inbegriff fachlicher Vernunft, muss sich eingestehen, dass er sich selbst und seine dunklen Seiten verdrängt hat.

Die finale Enthüllung ist kein bloßer erzählerischer Trick, sondern wirft ein beunruhigendes Licht auf die Frage, wem man überhaupt noch glauben kann – und ob unsere Version der Vergangenheit vielleicht auch nur ein geschickt erzähltes Narrativ ist. Fitzeks düstere Geschichten sind wohl genau die Lagerfeuerlegenden, die unsere Zeit verdient hat.

„Therapy“, alias „Sebastian Fitzeks Die Therapie“
Limitierte Serie, 2023
Sechs Episoden, je 45–50 Minuten
Mit: Stephan Kampwirth, Trystan Pütter, Helena Zengel, Andrea Osvárt, Emma Bading, Samir Fuchs
Nach dem Roman von Sebastian Fitzek, adaptiert von Alexander M. Rümelin
Produktion: Ziegler Film

Jetzt streamen: „Therapy“

In Deutschland:
Amazon Prime Video
- RTL+

In den USA:
- Amazon Prime Video

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