Deutsche Serien in den USA
"Cassandra" - Wenn das Smart Home durchdreht

Ein internationaler Erfolg: Die deutsche Mini-Serie Cassandra erreicht in zahlreichen Ländern Platz 1 der Netflix-Charts | © Netflix
Ein Zuhause, das den Alltag organisiert, Vorlieben erkennt und das Abendessen vorbereitet – klingt verführerisch? In „Cassandra“ wird genau das zum Albtraum. Die Netflix-Serie gibt dem Horrorhaus-Genre ein retrofuturistisches Update.
Von Angela Zierow
Willkommen in meinem Haus
Längst sind sie Teil unseres Alltag: Smart-Home-Systeme mit künstlicher Intelligenz. Sie steuern Licht und Heizung, befüllen den Kühlschrank und achten darauf, dass keine ungebetenen Gäste ins Haus kommen. Nebenbei sammeln sie jede Menge Daten über unser Privatleben. „Anpassung an individuelle Vorlieben“ und „Schaffung eines maßgeschneiderten Wohnumfelds“ nennt sich das. Klingt harmlos und ist wunderbar bequem. Doch was passiert, wenn die allgegenwärtige KI plötzlich übergriffig wird? Der Netflix-Sechsteiler Cassandra zeigt das Smart Home als Horrorhaus.
Ein Smart Home mit unheimlicher Vergangenheit
Für Genrefans wenig überraschend beginnt Cassandra mit einer Familie, die sich mittels Umzugs fernab der Großstadt einen Neuanfang erhofft. Ausgerechnet das älteste Smart Home Deutschlands haben sich die Hamburger Künstlerin Samira Prill (Mina Tander), Krimiautor David (Michael Klammer) und ihre beiden Kinder Juno (Mary Tölle) und Fynn (Joshua Kantara) dafür ausgesucht. Seit den 1970ern steht der brutalistische Klotz verwaist im Wald von Wühlheim, nachdem der Bauherr durch einen rätselhaften Autounfall ums Leben kam. Beflissentlich ignorieren die Prills diesen Umstand, was sich im Nachhinein (natürlich) als fataler Fehler herausstellt: Denn nachdem der wissbegierige Junior im Keller einen defekten Roboter entdeckt und reaktiviert hat, beginnt die elektronische Haushaltshilfe Cassandra (Lavinia Wilson) das Kommando zu übernehmen.
Bei David und den Kids hat die Robo-Lady zunächst leichtes Spiel, schließlich ist sie nicht nur hilfsbereit, sondern versprüht obendrein harmlos-sympathischen Retro-Charme. Und weil sie per Bildschirmmonitor jeden Hauswinkel im Blick hat, wird sie schnell zur unentbehrlichen Vertrauten. Nur Samira bleibt ob des ewig lächelnden, zunehmend aufdringlichen „Familienmitglieds“ skeptisch. Es kommt, wie es kommen muss, Cassandra wittert Konkurrenz – und bald häufen sich die Haushaltsunfälle.
Eifersüchtige Robo-Lady terrorisiert Familie
Eine eifersüchtige KI als Haustyrann und Ersatzmutter? Wer von Cassandra allzu viel Logik und psychologische Komplexität erwartet, geht spätestens in der zweiten Folge offline, zumal die Robo-Lady auf ihren wackeligen Rädchen nicht eben als uneingeschränkte Herrscherin eines Horrorhauses überzeugt. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel schrieb: „So furchteinflößend wie ein Staubsauger“.
Mehr noch, Showrunner und Regisseur Benjamin Gutsche (Lerchenberg, All you need) überfrachtete seine an sich stimmig geskriptete Sci-Fi-Story mit zahlreichen unnötigen Handlungssträngen: Von Fremdgehen und Ehekrise, über häusliche Gewalt und Selbstmord, Homophobie und Mobbing, toxische Männlichkeit und Emanzipation bis hin zur Krebserkrankung ist alles dabei, sogar für eine Zwangsneurose war noch Platz. Mystery-Fans schreckte das nicht. Die Mensch-Maschine-Wohngemeinschaft schaffte es nach ihrer Premiere in 32 Ländern an die Spitze der Netflix-Charts. Das sei der stärkste deutsche Start seit Liebes Kind, so der Streaming-Anbieter.
Tragische Story des „Ghost in the Machine“
Woher die Begeisterung rührt? Als Binge-Snack nach Feierabend taugt der Sechsteiler trotz oder gerade aufgrund seiner Schwächen allemal. Parallel zum (Psycho-)Terror der Retro-KI erzählt die Thrillerserie zudem das erschütternde Schicksal der menschlichen Cassandra: einer von ihrem Gatten unterdrückten und hintergangenen Ehefrau, die im Wortsinn zum „Ghost in the Machine“ wird. Die Tragik einer pflichtbewussten Mutter, die an den Konventionen der 1970er zerbricht, geht nicht zuletzt dank des ergreifenden Spiels von Lavinia Wilson an die Nieren. Den Rest erledigen das grandiose Set-Design und ein Spritzer B-Movie-Charme.Cassandra
Mini-Serie, Netflix 2025
6 Folgen à ca. 60 Min.
Regie und Drehbuch: Benjamin Gutsche
Besetzung: Lavinia Wilson, Mina Tander, Michal Klammer, Franz Hartwig, Mary Tölle, Joshua Kantara, Elias Grünthal, Filip Schnack
Mini-Serie, Netflix 2025
6 Folgen à ca. 60 Min.
Regie und Drehbuch: Benjamin Gutsche
Besetzung: Lavinia Wilson, Mina Tander, Michal Klammer, Franz Hartwig, Mary Tölle, Joshua Kantara, Elias Grünthal, Filip Schnack
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