Lagos

Lagos, 12.12.2008: Frohes Fest mit Zwergziegen

 © Weihnachtsbaum in Lagos Mein Plan, dem alljährlichen Weihnachts-Wahnsinn zu entkommen, indem ich den Dezember in Lagos verbringe, hat sich als lückenhaft erwiesen. Verglichen mit den nigerianischen Verhältnissen fühlt sich die Vorweihnachtszeit in Deutschland geradezu unaufdringlich und entspannt an. Advent in den Tropen, das wirkt so absurd wie Beachvolleyball im Packeis. Es gibt dick angezogene Weihnachtsmänner mit weißen Rauschebärten und Zipfelmützen, es gibt Lametta, Christbaumkugeln, Lichterketten und Marzipankonfekt - nur eben alles bei feuchtfauligen 33 Grad unter der glühenden Sonne.

Inzwischen weiß ich es auch zu schätzen, dass die meisten Christbäume zu Hause in Berlin einheitlich grün sind. Lagos ist von unzähligen quietschbunten Plastiktannen übersät. Meistens richtet sich die Farbe nach dem Stifter des Bäumchens. Die gigantische rote Christbauminstallation vor dem Nationaltheater hat natürlich Coca-Cola bezahlt, alle gelben Nadelbäume haben in der Regel etwas mit der Telefonfirma MTN zu tun, die blauen gehören der First-Bank. Manche sagen, Weihnachten sei die Zeit, in der sich Geld und Gott am nächsten sind. Wenn das stimmt, ist Lagos die weihnachtlichste Stadt der Welt.

Da wir gerade bei Rekorden sind: Wahrscheinlich ist Nigeria auch eines der letzten Länder dieser Erde, in dem das gesamte Weihnachtsgeschäft noch mit Bargeld abläuft. Mit Kreditkarte zahlt hier nur, wer sichergehen will, dass sein Konto am nächsten Tag komplett geplündert ist. Prinzipiell ist gegen Bargeld ja auch nichts einzuwenden. Der größte Geldschein, der in Nigeria kursiert, ist allerdings die lehmbraune, meist leidlich durchgeschwitzte 1.000-Naira-Note. Davon kann man sich in meinem Hotel ein Rührei mit Kochbananen-Beilage kaufen. Ein hüfthoher Plastikweihnachtsbaum kostet beim Christkind-Bedarf um die Ecke 75.000 Naira, ein hölzernes Schaukelpferd 120.000 Naira. Das hat zur Folge, dass man unweigerlich mit einer Plastiktüte voller Geldscheine unterwegs ist, wenn man sich in Lagos in Weihnachtseinkäufe stürzt. Nigerianer, die erwägen, sich zum Jahresende einen Mittelklassenwagen anzuschaffen, brauchen gar einen stabilen Rucksack für den Geldtransport. Wohnungskäufer sollten nicht ohne Rollkoffer losziehen.

Bleiben wir aber beim schönsten Aspekt der besinnlichen Adventszeit, dem Weihnachtsgeld. Als ich vor einigen Tagen zu einem Interviewtermin mit dem Umweltminister des nigerianischen Bundesstaates Lagos ins Regierungsviertel fuhr, wurde ich gleich am Eingangstor von einer Herde Ziegenböcke angeblökt. Der Politiker war nicht aufzufinden, in den Gängen der Behörde traf ich stattdessen auf schlafende Pförtner, auf fernsehende Sekretärinnen und: auf Ziegenböcke. In den Ministerialgärten: Ziegenböcke. Auf dem Parkplatz: Ziegenböcke. In Kofferraum eines klapprigen VW-Passats: Ziegenböcke. Man ist nach ein paar Tagen in Lagos zwar auf so manches gefasst, aber diese großbauernhofartigen Szenen im Regierungsviertel haben mich dann doch überrascht. Von hier aus werden immerhin gut 17 Millionen Menschen regiert, so viele wie alle Schweden, Norweger und Finnen dieser Welt zusammen.

Nachdem ich genügend verwunderte Blicke ausgesendet hatte, näherte sich mir ein Mitarbeiter des Sozialministeriums, der mich fragte, ob ich einen Ziegenbock geschenkt haben wolle. Ich lehnte mit dem Hinweis auf die Übergepäck-Regelungen der Lufthansa dankend ab, erfuhr aber bei der Gelegenheit, dass die Regierung von Lagos das Weihnachtsgeld an ihre Beamten nicht in 1.000-Naira-Noten ausschüttet, sondern in Form von Zwergziegen. Nach allem, was ich bislang in Westafrika gesehen habe, ist das die Weihnachtsidee des Jahres. Zwergziegen gelten aufgrund ihrer Protein-, Vitamin- und Eisenwerte als besonders nahrhaft und haben im täglichen Verkehrschaos von Lagos den Vorteil, dass sie quer über den Sattel gelegt sogar in Zweierreihen auf ein Motorradtaxi passen. Nebenbei bemerkt hat die große Nutzvieh-Aktion im christlich-islamisch gespaltenen Nigeria auch etwas Versöhnliches. Die meisten der 70 Millionen Muslime im Land werden zum Sallah-Fest am Montag und Dienstag ohnehin eine Ziege schlachten und verspeisen. Und zumindest bei jenen der 56 Millionen Christen, die das Glück haben, im Regierungsviertel von Lagos zu arbeiten, wird es über die Feiertage wohl einen Braten geben, der ganz ähnlich schmeckt.

Boris Herrmann,
veröffentlicht am 12.12.2008 in This Day.

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