Lagos

Lagos, 13.12.2008: Die Erde schlägt zurück

 © Lagos, Foto: Kunle-Ogunfuyi

Ein Blitz schlägt ein, Bäume bersten, Dämme brechen, Savannen brennen, Menschen verkohlen. Am Ende bleibt nur rötlicher Wüstensand zurück, lebloses Land so weit das Auge reicht. Schon der knapp einminütige Vorspann des Dokumentarfilms Global Warming – Nigeria under Attack verrät, dass der Zuschauer hier keineswegs mit subtilen Mitteln überzeugt werden soll. Das von der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung und dem nigerianischen Umweltministerium gemeinsam finanzierte Projekt, ist ein Reality-Horror-Streifen geworden. Eine Schocktherapie, die den bevölkerungsreichsten Staat Afrikas aus seiner Natur verschmutzenden, Müll produzierenden, Öl verbrennenden Dauertrance retten soll. „Die Mutter Erde ist einem ernsthaften Angriff ausgesetzt“, sagt der Regisseur und Umweltaktivist Desmond Majekodunmi gleich zu Beginn des Films in die Kamera. Und eingerahmt von zornigen Blitzen und loderndem Höllenfeuer ergänzt er: „Jetzt schlägt die Erde zurück!“

Stefan Cramer, Leiter der Böll-Stiftung in Lagos, gibt ohne Haken zu schlagen zu, dass der von ihm injizierte Film bisweilen eine polarisierende, ja dramatisierende Sprache anschlägt. Die Frage ist nur, wann überhaupt Dramatik angebracht sein soll, wenn nicht bei diesem Thema. Der Zweck heiligt hier die Mittel, findet Cramer.

Die 17-Millionen-Stadt Lagos hat weder ein funktionierendes Abwassersystem, noch eine Müllentsorgung, die diesen Namen verdient. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, in den offenen Kanälen am Straßenrand blubbert eine schwarze, verfaulte Brühe. Abertausende wild durcheinander rußende Autos verfangen sich Tag für Tag in kilometerlangen Staus und legen die Stadt unter einen milchigen Smogteppich. Wenn die Prognosen aller anerkannten Klimaforschungsinstitute dieser Welt nur zur Hälfte eintreten, und der Meeresspiegel bis Ende dieses Jahrhunderts um einen bis zwei Meter ansteigt, dann werden große Teile von Lagos und andere Küstenregionen Nigerias dauerhaft unter Wasser stehen. Da das Staatsgebiet gleichzeitig vom Norden her versandet und die Sahara das Land wie eine Feuerwalze unter sich begräbt, könnte der bewohnbare Teil Nigerias binnen Jahrzehnten auf einen Bruchteil der heutigen Fläche zusammen schrumpfen. Eingedenk der rasanten Bevölkerungsentwicklung, der politischen Implikationen möglicher Flüchtlingsbewegungen und der Seuchengefahr nach Überschwemmungen, kann man ohne zu zögern schließen, dass der Endzeit-Tonfall dieses Film keineswegs übertreiben ist.

Der studierte Meeresbiologe Cramer, der sich seit 40 Jahren mit Afrika beschäftigt, hatte die Idee zu diesem Projekt, als er die preisgekrönte Dokumentation An Inconvinient Truth von Al Gore sah. Der Film des ehemaligen US-Präsidentschaftskandidaten machte das Thema Klimawandel vor gut zwei Jahren in Amerika und Europa massentauglich. Cramer war von An Incovinient Truth beeindruckt, aber er wusste auch, dass er in großen Teilen Afrikas nicht funktionieren würde. „Aufgrund der schlechten Schulbildung, vor allem in den Naturwissenschaften, fehlt hier das nötige Grundwissen für Gores Film“, sagt Cramer. Wie soll man den Klimawandel verstehen, wenn man noch nie etwas von Kohlendioxid gehört hat? Cramer hatte den Anspruch, eine Filmsprache zu finden, die sowohl genügend wissenschaftliche und politische Informationen transportiert, als auch die Seh- und Hörgewohnheiten von Nigerianern anspricht.

Regisseur Majekodunmi hat deshalb klassische Dokumentarfilmpassagen mit Elementen des in Nigeria so erfolgreichen Nollywood-Kinos vermischt. Er lässt Kinder neben rauchenden Stromgeneratoren in Ohnmacht fallen, Mütter in Weinkrämpfe ausbrechen und junge Männer im Happy-End lächelnd Bäume pflanzen. Global Warming – Nigeria under Attack ist kein cineastisches Meisterwerk. Aber er könnte zum Pilot-Film einer neuen Stilrichtung werden, die man dann „Aufklärungs-Soap“ nennen müsste. „Es wird sich noch zeigen, ob unser Anspruch eingelöst ist. Aber es ist mal ein erster Versuch“, sagt Cramer.

Ob der Versuch glückt, wird vor allem davon abhängen, wie viele der 140 Millionen Nigerianer den Film auch tatsächlich zu sehen bekommen. Seit einigen Tagen ist er auf DVD erhältlich, in dieser Woche wird er erstmals im Fernsehen ausgestrahlt, in drei verschiedenen Kanälen gleichzeitig. Der Kern des Vertriebskonzept richtet sich allerdings unmittelbar an die wichtigste Zielgruppe von allen: die Schüler.

Böll-Stiftung und Umweltministerium haben eine Art Road-Show vorbereitet, um die Dokumentation in möglichst vielen Sekundarschulen Nigerias zu zeigen. In Lagos gibt es bereits an vielen Schulen einen so genannten Klimaklub, in dem sich Jugendliche mit dem Thema auseinander setzen können. Cramers heimliche Hoffnung ist allerdings, dass der Film auch über Piraterie-Kopien weiter verbreitet wird, dem klassischsten und schnellsten Vertriebsweg Nigerias. Er sagt: „Wenn ich die DVD hier unten vor meinem Büro auf der Straße kaufen kann, dann weiß ich, dass ich nicht alles falsch gemacht habe.“

Boris Herrmann,
veröffentlicht am 13.12.2008 in This Day.

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