Lagos

Lagos, 7.12.2008: Fotos lügen nicht

 © Lagos, Foto: Kunle-Ogunfuyi

Auf einem quadratischen Gullydeckel im Mende-Village legt der in Lagos lebende Fotograf Abraham Oghobase seinen Kopf in den Nacken, streckt die Beine durch und hebt ab. Genau in dem Sekundenbruchteil, da er in der Luft zu stehen scheint, da er so selbstverständlich zu der ochsenblutfarbenen Fassade seines Elternhauses gehört wie die himmelwärts gerichtete Satellitenschüssel, löst die Kamera aus. Schnapp. Ein fliegender Nigerianer in einem ganz normalen nigerianischen Straßenbild, das Besondere im Alltäglichen - das ist das Leitmotiv der Arbeiten von Abraham Oghobase.

Der 29 Jährige hat seine Serie über Selbstportraits in der Schwerelosigkeit „Esctatics“ genannt. Er fotografiert sich fliegend in seiner Nachbarschaft, fliegend am Strand, fliegend auf dem Dach eines Kleinbusses im Stau. „Ich mag es, einheitlich und systematisch zu arbeiten“, sagt Oghobase.

An diesem Mittwoch wird die Systematik seiner Fotos allerdings gebrochen. Am Bildrand des Selbstportraits auf dem Gullydeckel befindet sich diesmal auch noch der renommierte Kölner Fotograf Albrecht Fuchs, der gerade ein Portrait des Selbstportraits von Abraham Oghobase schießt. Fuchs leitet derzeit am Goethe-Institut in Lagos den Fotografie-Workshop „Pride“. Oghobase ist einer der Teilnehmer und es ist jene Metaebene des Fotografen, der den Fotografen abbildet, die den besonderen Reiz dieser Veranstaltung ausmacht.

Albrecht Fuchs, 44, hat sich mit seinen Portraits von Künstlern aller Gattungen wie Isabella Rosselini, Ennio Morricone, Raymond Pettibon, Martin Kippenberger und Damon Albarn einen Namen gemacht, der weit über Deutschland hinausreicht. Seine Arbeiten für die Magazine der Süddeutschen und Frankfurter Allgemeine Zeitungen sowie die Wochenzeitung Die Zeit gehören zu den Glanzstücken zeitgenössischer deutscher Portraitfotografie.

Eine Werkschau der Arbeiten von Albrecht Fuchs ist seit diesem Wochenende im Goethe-Institut in Victoria Island zu sehen. In ihrer inszenierten Natürlichkeit vermitteln die Bilder von Fuchs etwas ölgemäldehaftes. Er dringt in das private Umfeld seiner Protagonisten ein und hält doch stets eine respektvolle Distanz. Auf diese Weise stellt er eine Intimität her, die bisweilen beklemmend aber nie aufdringlich wirkt. „Ab einem gewissen Punkt habe ich mich weniger mit Fotografie als mit Kunst beschäftigt“, sagt Fuchs. Und genau diesen Grat zwischen einer Fotografie, die zeigen will wie die Welt ist und einer Kunst, die zeigen will wie die Welt sein könnte, versucht Fuchs auch mit seinen Workshopteilnehmern aus Lagos zu begehen.

Dabei soll es nicht darum gehen, nigerianischen Fotografen einen europäischen Ansatz aufzudrängen, sondern darum, Konventionen als solche zu erkennen und sie gegenseitig zu hinterfragen. „Wenn ich ein wenig zum Nachdenken über Portraitfotografie anregen kann, bin ich mit meiner Arbeit hier zufrieden“, sagt Fuchs. Das ist bescheiden formuliert, schließlich arbeitet er mit seinem Kurs auch an einer Ausstellung, die dann ab Januar im Goethe-Institut gezeigt werden soll. Die zehn Teilnehmer aus Nigeria sind dazu angehalten, in dieser Woche Portraits anzufertigen, die sich im weitesten Sinne mit dem Begriff „Pride“ auseinandersetzen. Fuchs hat bewusst ein vages Thema gewählt, um die Fotografen bei ihrer Arbeit nicht von vorneherein einzuschränken. „Die meisten Bilder, die Europäer aus Afrika mitbringen, sind voller Dreck, Gewalt und Armut. Wir wollten hier etwas Selbstbewusstes machen“, so Fuchs.

Der von Reuters akkreditierte Fotojournalist Akintunde Akinleye setzt das Thema „Stolz“ am Sand von Kuramo-Beach in Szene. Er portraitiert eine junge Frau, die sich ihr Studium mit einem Nebenjob als Prostituierte verdient. Sein Kollege Andrew Esiebo fotografiert die Stau-Verkäufer in den Straßen von Lagos, die Dokumentar-Fotografin Mina Jane reist eigens in die Deltaregion um ihre Familie abzubilden. Auf eine Weise hat sich sogar der Workshopleiter Albrecht Fuchs in die Liste der Workshopteilnehmer eingereiht. Für die Pride-Ausstellung portraitiert er zehn selbstbewusste nigerianische Fotografen bei der Arbeit.

Einer der selbstbewusstesten von ihnen ist Abraham Oghobase, der zuletzt zwei Monate in Berlin lebte und dort die ebenso eindrucksvolle wie düstere Selbstportrait-Serie Lost in Transits anfertigte. Seine Bilder aus Lagos sind farbiger, sonniger, fantastischer. Das Portrait seines schwebenden Selbstportraits mit Albrecht Fuchs sieht aus wie eine optische Täuschung. Aber Bilder lügen nicht, da sind sich der deutsche und der nigerianische Fotograf schon einmal einig.

Boris Herrmann,
veröffentlicht am 7.12.2008 in This Day.

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