Frankfurt

Frankfurt 15.12.2008: Gemeinsam einsam

 © Skyline von Frankfurt

Katharina legt ihre faltenzerfurchte Hand auf den Tisch. Sie trägt einen Achatring. In dem Café im zehnten Stock vom Kaufhof an der Hauptwache sitzt sie mit ihrer Freundin Helene. Die beiden elegant gekleideten älteren Damen genießen die frische Abendluft zwischen den erleuchteten Hochhäusern. Neben der Linzer Torte steht eine Tasse Kaffee; daneben liegen eine Zeitung und dicke Brillen. Nichts kann ihnen die Laune verderben.

Auf Katharinas Gesicht liest man hinter tiefen Falten die 83jährige Geschichte einer europäischen Schönheit mit (früher) schwarzen Haaren. All diese Falten haben aus ihr keine alte Frau gemacht, die allein in ihren vier Wänden sitzt. In ihrer eleganten Kleidung, einem Pelzmantel und Perlenschmuck, wirkt sie wie eine Statue in einem Museum. Doch ihre Augen strahlen. Katharina ist eine von 13,4 Millionen Deutschen, die über 65 Jahre alt sind.

Ältere Menschen trifft man in Frankfurt überall. In jedem Restaurant, Park, Kaufhaus, Theater, Kino und auf der Straße findet man Menschen über 50. In Beirut ist das anders. Da wird das Straßenbild fast nur von jungen Leuten oder Menschen, die ihrem Beruf nachgehen, beherrscht. Deutsche Senioren müssen sich keine Sorgen machen um ihr Leben und ihre Versorgung. Dagegen verbringt im Libanon ein Lehrer etwa 40 Jahre in seinem Beruf, und danach reicht ihm die Rente nicht für Essen, Trinken und Kleidung.

Ein weiterer Unterschied ist: Ältere Menschen in Deutschland möchten meistens lieber in ihrer Wohnung bleiben als in einem Altersheim oder bei ihren Kindern zu wohnen. „Warum störe ich meine Tochter und ihre Familie und mische mich in ihr Privatleben ein? Sie haben ihr Leben und ich meins und ich will meine Wohnung nicht aufgeben“, sagt der 90jährige Rudi. 40 Prozent der alten Menschen leben allein. Wolfgang Jeschke, Leiter des Altenheims August-Stunz-Zentrum im Röderbergweg, führt dies darauf zurück, dass alten Menschen in Deutschland ein Grundeinkommen vom Staat garantiert werde.

Es gibt bundesweit 10.900 Altersheime, in denen etwa 670.000 alte Menschen leben. Diese Heime, sagt Jeschke, „bieten ausgezeichneten Service für ihre Bewohner, als wären sie zu Hause“. Das August-Stunz-Zentrum ähnelt einem Luxushotel. In den Fluren hängen Gemälde von Künstlern und Bilder, die die Heimbewohner selbst im hauseigenen Atelier gemalt haben. Das Atelier wird von einer Künstlerin geführt. Das Haus bietet seinen Bewohnern außerdem Lesungen, Gedichtrezitationen, Musik- und Theateraufführungen und Ausflüge. Das Programm wird jeden Monat neu entworfen. Es umfasst religiöse, kulturelle und sportliche Aktivitäten.

Ein Altenpfleger muss eine Berufsausbildung für die Arbeit mit alten Menschen absolvieren. Dennoch mögen die Deutschen die Arbeit in der Altenpflege nicht. Warum? „Die Politik kürzt die Gelder, die für Altenpflege zur Verfügung stehen, so dass dieser Beruf immer weniger Menschen anzieht“, erläutert Heimleiter Jeschke. Im August-Stunz-Heim arbeiten Pflegekräfte aus mehr als 20 Ländern, unter anderem aus dem ehemaligen Jugoslawien und Osteuropa.

Lydia ist eine der vielen Polinnen, die ihr Zuhause verlassen haben, um in Deutschland Alte oder Behinderte zu pflegen. Die 50jährige Frau wohnt für sechs Wochen in dem Haus der 90jährigen Frau Kriecher in Preungesheim, die an Alzheimer, Parkinson und Querschnittslähmung leidet. Sie besorgt den Haushalt, die Pflege und kocht für Frau Kriecher. Nach sechs Wochen löst sie eine andere Polin ab. „Jobs in der Pflege sind psychisch und physisch sehr anstrengend“, sagt Lydia. Vielen Deutschen sei das zu anstrengend und nicht gut bezahlt. „Deswegen überlassen sie uns das Feld. “

Ein großes Problem für die Menschen in den Heimen ist die Einsamkeit. Davon berichtet Richard Witzer, der im August-Stunz-Zentrum wohnt: „Wenn eine Ehefrau stirbt, stirbt ihr Ehemann psychisch mit. “ Hinter dem Glas seiner Brille wirken die kleinen Augen abwesend, während er die Menschen um sich ansieht. Seine Worte und die leicht zitternde Stimme klingen, als ob er schon lange mit niemandem mehr geredet hätte. Zehn Minuten lang erzählt er von seinem Hass auf Krieg und Kampf. Der 94-Jährige wird nun von der Einsamkeit erdrückt.

In der Zeit zwischen 1. Dezember und 10. Januar erreichen die Selbstmordquoten unter den Heimbewohnern ihren Höhepunkt. Dem versuchen die Heime mit unterschiedlichen Aktivitäten entgegenzuwirken.

Im Libanon sind alte Menschen von ihren Kindern, Enkelkindern, Freunden, Nachbarn und Verwandten umgeben. Wenn die Deutschen den großen Vorteil dieser Strukturen erkennen würden, könnten sie auch dem Problem der Einsamkeit und des Selbstmordes besser begegnen.

Rana Najjar,
veröffentlicht am 15.12.2008 in der Frankfurter Rundschau.

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