Berlin

Berlin, 6.11.2008: Kapuzenträger auf Opferschau

 © © N Schmitz/PIXELIO; www.pixelio.de

Halloween! Heute Abend sind böse Geister unterwegs. Gehört dieser hier etwa zu ihren Lakaien? Vielleicht. Sie mögen unterschiedliche Gestalt annehmen, ihren Ursprung haben sie aber in den immer gleichen Mächten. Als erstes erregt das kapuzenumrahmte Gesicht des weißen Mannes instinktiv meine Aufmerksamkeit. So frage ich mich, was die tief eingeschnittene Narbe auf seiner Stirn verursacht haben mag. Der Stich eines Messers, eines Dolches? Kratzspuren eines seiner früheren Opfer?

Eigentlich egal. Ich habe dringendere Anliegen, als der Ursache seiner Narbe auf den Grund zu gehen. Aber ohne genaueren Anhaltspunkt warnt mich mein Bauchgefühl vor diesem Mann. Als er mich in grammatikalisch einwandfreiem Englisch anspricht, läuten bei mir alle Alarmglocken. Seine sorgfältig formulierten Sätze klingen wie einstudiert.

Warum ich ihn überhaupt beachtet habe? Ja, haben wir heute denn nicht Halloween? Nicht jeder geht als harmloser Kürbismann. Lass mal schauen: dieser Kapuzenträger, der mich an der Rosenthaler Straße angesprochen hat, vielleicht hat er sich ja als Sensenmann verkleidet…

Falsch. Dazu müsste er noch etwas an seinem Kostüm arbeiten. Sein Gesicht – so bedrohlich es auch scheint – sieht nicht wie ein Schädel aus. Und was auch immer er in der Hand hält, sieht nicht wie eine Sense aus. Vielleicht ist es eine Waffe?

Er fragt mich, ob ich schon mal von Patrice Lumumba gehört hätte. Natürlich habe ich das. Aber ihm gegenüber sollte ich das jetzt bestimmt nicht zugeben. Er wurde von der CIA ermordet, sagt er mir. Genau wie Malcolm X.

Bilde ich mir das ein oder mustert er mich eingehend, während er mit mir spricht? Was will er eigentlich von mir? Die Frage hat er schon beantwortet, bevor ich sie auch nur ausgesprochen habe. Irgendwo in der Schillingstraße fände so ein Treffen zum Gedenken des ermordeten kongolesischen Premierministers statt. Ob ich wisse, wo?

Natürlich weiß ich das nicht. Ich hoffe, dass man mir die Panik, die in mir aufsteigt, nicht anmerkt. Nein, ich bin nicht paranoid! Irgendetwas warnt mich, dass mir der Fremde mit der Kapuze etwas Schlimmes antun will. Er redet immer weiter über Lumumba, als hätte er die Sätze auswendig gelernt, wiederholt das Gesagte immer wieder.

Um ihn endlich loszuwerden, überquere ich die Straße, um eine älteres deutsches Ehepaar anzusprechen, das ich eben bemerkt hatte. Doch er klebt an mir wie ein Schatten. Das Paar ist zunächst freundlich, wendet sich aber wieder ab, als mein Verfolger sie auf Deutsch anspricht.

Dann fällt mein Blick auf eine Gruppe Jugendlicher, die scheinbar an einer Führung teilnehmen. Ich gehe auf sie zu, den Kapuzenträger dicht auf meinen Fersen. Jetzt beschwert er sich über das deutsche Ehepaar. Was sie verbrochen haben? Sie kennen die Schillingstraße nicht. Darum hasst er Fremde in Berlin, fügt er unnötigerweise hinzu. Sie kennten sich überhaupt nicht aus.

Ich muss ihn jetzt dringend irgendwie abschütteln. Laut vernehmlich frage ich ihn: „Warum folgen Sie mir?“ „Ich folge Ihnen nicht”, lügt er. Dann fügt er noch etwas Unverständliches hinzu und heftet sich weiter an mich, gerade so als seien wir siamesische Zwillinge. Ich mache eine Kehrtwendung und schließe mich der Gruppe an, die der Rosenthaler Straße in Richtung Torstraße folgt … Er ist immer noch direkt hinter mir. Nimmt das hier denn niemals ein Ende?

Schnell hole ich mein Handy aus der Hosentasche und wähle die Nummer eines ehemaligen Kurskollegen beim Goethe-Institut, eines Spaniers namens Marc. „Wo bist du?” frage ich ihn auf Deutsch, als er abnimmt. „Zu Hause”, antwortet er. Während ich mit Marc weiterrede, bemerke ich, dass der hartnäckige Stalker jetzt vor der Gruppe herläuft. Das ist meine Chance. Ich mache erneut eine Kehrtwendung und folge der Straße wieder in Richtung Hackescher Markt … Auf dem Weg zurück in mein Hotel stehen mir die Tränen in den Augen.

Okechukwu Uwaezuoke,
veröffentlicht am 6.11.2008 in der Berliner Zeitung.

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