Beirut, 8.11.2008: Toleranz als Unterrichtsziel

Das klingt doch irgendwie vertraut. Wie in Deutschland ist der Ruf des öffentlichen Schulsystems auch im Libanon nicht der beste. Wer es sich leisten kann, entscheidet sich für eine Privatschule. Eine öffentliche Statistik wird nicht geführt, für Zahlen interessiert sich in diesem Land kaum jemand. Es gilt aber als sicher, dass die meisten libanesischen Kinder inzwischen eine nichtöffentliche Schule besuchen.
Wobei die Privatschulen im Libanon fast durchweg Schulen mit religiösem Hintergrund sind. Eine lange Tradition haben christliche Schulen, die zum Teil schon im 19. Jahrhundert gegründet wurden. In jüngster Zeit haben sich aber auch mehr und mehr muslimische Schulen etabliert. Unter anderem die „Amal Educational Institutions“, eine schiitische Initiative, die seit 1991 sieben Schulen im Land betreibt. „Der libanesische Staat war zu schwach, um ein gutes Schulsystem zu entwickeln“, urteilt Ali Naim Khreiss, General-Manager der Amal-Schulen. Deshalb hätten die Religionsgruppen die Initiative übernommen.
Im Süden Beiruts betreibt Amal die Schule Hassan Kassir, eine Rieseneinrichtung mit 10000 Kindern und 1400 Angestellten. „Wir erteilen islamischen Religionsunterricht, informieren die Kinder aber auch über andere Religionen“, sagt Schulleiterin Fatima Fadlallah. Sie selbst trägt Kopftuch, betont aber, dass dies keinesfalls von den Mädchen verlangt werde. „Wir sind offen und haben christliche Lehrer. Außerdem pflegen wir Kooperationen, unter anderem mit einer katholischen Schule.“ Die Kinder von Hassan Kassir tragen Schuluniform, sogar für den Sportunterricht gibt es eigene Trainingsanzüge. Damit vermeide man, hebt Schulleiterin Fadlallah hervor, „einen Wettbewerb unter den Schülern um die modischste Kleidung“. Mit dem Schulgeld (1000 Dollar pro Kind und Jahr), staatlichen Zuschüssen und privaten Spenden konnte die Schule ein respektables Gebäude bauen, mit sehr gut ausgestatteten Räumen für Physik- und Chemieunterricht.
Eine Moral, für alle verbindlich Uniformen tragen die Schüler der „Schneller-Schule“ nicht. Aber auch diese in der Bekaa-Ebene gelegene Schule verfügt über Fachräume mit gutem Standard und verschiedene Werkstätten. Die 1952 gegründete Schule nahe der Ortschaft Khirbet Kanafar (60 Kilometer östlich von Beirut) wurde nach dem deutschen Missionar und Pädagogen Johann Ludwig-Schneller benannt, der 1860 in Jerusalem ein syrisches Waisenhaus für Kinder aller Religionen gründete. Trotz der christlichen Trägerschaft – unter anderem wird sie vom evangelischen Missionswerk in Stuttgart unterstützt – bilden muslimische Kinder die Mehrheit der Schüler. „Wir missionieren nicht, unsere Mission heißt Toleranz“, so Schuldirektor George Haddad. Jedes Kind solle seiner Religion folgen, solange sie keine Gewalt predige. An der Schneller-Schule werden Weihnachten und Ostern, aber auch die islamischen Feste gefeiert. „Uns geht es nicht in erster Linie um die Religion, sondern um eine für alle verbindliche Moral“, sagt der evangelische Pfarrer Haddad.
Die Schneller-Schule nimmt bis heute Waisenkinder auf. Das Schulgeld (1000 Dollar) wird bedürftigen Familien erlassen. Bekannt ist die Schule auch für ihr duales Ausbildungssystem. Jugendliche können dort neben der Schule eine Berufsausbildung absolvieren. Es gibt eine Mechaniker-, Schreiner-, Bäcker und eine Autowerkstatt. Die meisten Maschinen und Werkzeuge dort sind Spenden deutscher Unternehmen. Einer der Automechaniker-Lehrlinge ist der 16 Jahre alte Waled. „Ich bin gerne hier, auch weil Disziplin verlangt wird“, sagt er. „An den Staatsschulen wird darauf nicht so großer Wert gelegt.“
Unterrichtet wird an der Schneller-Schule Englisch und Deutsch. In der Klasse 6b bringt Deutsch-Lehrerin Claude Zino den Kindern an diesem Tag ein neues Lied bei. „Es ist so schrecklich kalt in der Schule“, heißt es. Text und Melodie sind unbekannter Herkunft, in Deutschland dürfte es völlig unbekannt sein. Die Kinder machen aber eifrig mit.
veröffentlicht am 8.11.2008 in der Frankfurter Rundschau.