Beirut

Beirut, 5.11.2008: Zur Heirat nach Zypern

 © Marie und Siad wollen heiraten. Die Vorbereitungen dazu sind in vollem Gang. Den Flug nach Zypern haben die beiden schon gebucht. Zypern? Ja, Zypern, denn das Paar will zivil heiraten, und das ist im Libanon nicht möglich. „Wir leben säkular, warum sollten wir eine muslimische Hochzeit feiern?“, fragt Marie. Siad, ihr Zukünftiger, ist Musiker. Er spielt die traditionelle Oud, die orientalische Gitarre. In seinen Liedern aber nimmt er die religiös dominierte Geschichte seines Landes aufs Korn.

Paare wie Marie und Siad haben es nicht leicht im Libanon. Es gibt in diesem Land quasi kein öffentliches Familienrecht nach europäischem Muster. Alles, was mit Hochzeit, Scheidung oder Erbangelegenheiten zu tun hat, wird von den religiösen Gruppen geregelt. Eine Trennung von Staat und Kirche gibt es faktisch nicht, selbst im Parlament sind die Sitze und Ministerposten nach dem Proporz der 18 Religionsgemeinschaften im Land verteilt.

Jeder Libanese wird mit seiner Geburt einer der 18 Gruppen zugeteilt. Ein Problem hat, wer auf seine Religion keinen Wert legt oder einer anderen Glaubensgemeinschaft angehört. Reverend Habib Badr etwa, Pfarrer der National Evangelical Church (NEC), weiß von absurden Begegnungen zu berichten. „Ich hatte einmal Besuch von einem Paar, das den Zeugen Jehovas angehörte. Die wollten, dass ich sie traue.“

Zwar werden die Zeugen Jehovas von der evangelischen Kirche nicht anerkannt, Reverend Badr aber bot den beiden eine Trauung an, wenn sie die Liturgie akzeptieren. Die Sache scheiterte, weil die Zeugen Jehovas nicht an den dreieinigen Gott glauben. Geld für eine Auslandshochzeit hatten sie nicht. Um solche Fälle kümmert sich inzwischen die Libanese Association for Civil Rights. Eine der Aktivisten dort ist Rima Ibrahim. Sie sagt: „Wir brauchen dringend ein ziviles Eherecht im Libanon, dafür setzen wir uns ein.“ Mit ihrem Mann Fadi Abi Samra, einem Schauspieler, gehörte sie vor zehn Jahren zu den ersten, die es wagten, im Ausland standesamtlich zu heiraten. „Das war ganz einfach“, erzählt Fadi, „wir sind für eine Woche in die Türkei gefahren, die Hochzeit war ohne vorherige Anmeldung in einem Tag erledigt.“ Den libanesischen Behörden haben die beiden die türkischen Dokumente vorgezeigt, sie wurden übersetzt und ohne Probleme akzeptiert.

Als Ehepaar sind Rima und Fadi nun also anerkannt. Das war ihnen wichtig, denn sie wollten Kinder haben. „Ohne Trauschein Kinder zu haben, ist praktisch unmöglich“, sagt Fadi. Inzwischen haben sie zwei Töchter, Sarah (10) und Mira (6). Man kann ihnen nur wünschen, dass sie ihr Leben lang glücklich sein werden. Denn wenn es zur Scheidung käme, begännen die Probleme von vorne. „Die öffentliche Verwaltung würde sagen, geht zu Eurem Sheik, mit Scheidung haben wir nichts zu tun. Das ist doch unmöglich.“

Selbst für Erbangelegenheiten fühlt sich der libanesische Staat nicht zuständig. Auch das wird von den Geistlichen erledigt. Und führt zu eklatanten Ungerechtigkeiten, speziell für Frauen. Eine sunnitische Frau erbt nur halb so viel wie ein Mann, während Schiiten und Christen Frauen diesbezüglich gleichstellen. Es gab mal einen Premierminister, der vom Sunniten zum Schiiten konvertierte, damit seine Töchter das volle Erbe erhalten konnten.

In den vergangenen Jahren ist ein regelrechter Hochzeits-Tourismus entstanden. Bevorzugtes Land der Trauung ist Zypern. In 45 Minuten ist man mit dem Flieger dort, die Prozedur dauert kaum länger. „Tausende machen das so“, schätzt Rima.

Martin Müller-Bialon,
veröffentlicht am 5.11.2008 in der Frankfurter Rundschau.

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