Abidjan, 4.12.2008: Adieu, Papa Bouagnon
Papa Bouagnon ist tot. Vor drei Wochen schon ist er gestorben, heute wird er beerdigt. Was für ein Spektakel. Zwei Nächte lang haben sie getanzt bis zum Morgengrauen, Verwandte, Freunde, Kollegen des ehemaligen Lehrers. Denn wer nicht tanzt, so sagt man hier in Divo im Herzen des Landes, der ist nicht berührt vom Tod. Jetzt ziehen sie zur Kirche, allen voran eine Band aus zehn Musikern, die mit Posaunen und Trompeten schnelle, fröhliche Lieder spielt.
Der Unterschied zu Deutschland könnte größer kaum sein. Dort ist eine Beerdigung vor allem eins: Leise. Die Menschen tragen schwarz statt bunt, sprechen und bewegen sich gedämpft, wie in Watte gepackt. Denn wer lärmt und tanzt, der ist nicht berührt vom Tod, sagt man dort.
Hunderte Menschen sind gekommen zum Gottesdienst in Saint Pierre et Saint Paul von Divo. Fast zwei Stunden singt der Chor mit Keyboard und Schlagzeug, spricht der lila-gewandete Priester. Sehr pathetisch. Ständig ist vom Erlöser die Rede, fast nie von Papa Bouagnon. In Deutschland sind die Gottesdienste nicht nur kürzer. Der Pfarrer erzählt auch noch einmal das gesamte Leben des Gestorbenen, mit seinen schönen wie traurigen Momenten. Eine Band gibt es nicht. Nur eine Orgel, die getragene Choräle spielt.
Es ist ein prachtvoller Sarg, in dem Papa Bouagnon liegt: Golden lackiert, mit einem silbernen Kreuz. Auf dem städtischen Friedhof schieben sie ihn mit vereinten Kräften in das gemauerte Grab. Die Frauen singen „Adieu Papa Bouagnon“, sie schluchzen, stützen sich. Manchmal werfen sie sich auch auf den Boden, winden sich in ihrer Trauer, manchmal schlagen die Männer ihren Kopf gegen die Wand. Das Volk der Bété ist bekannt für große Gefühlsausbrüche. In Deutschland dagegen kann man die Vögel zwitschern hören, wenn der Sarg ins Grab gesenkt wird. So still ist es.
Der goldene Sarg war ein teures Kunstwerk. Eine Beerdigung kann eine Familie finanziell ruinieren. Kapelle, Stühle, Zelte und der Platz im Kühlhaus müssen gemietet werden. Hunderte Gäste müssen tagelang versorgt werden. Einheitliche Uniformen müssen geschneidert werden. Die Familien bilden ein Organisationskomitee für die Arbeit, inklusive Präsident. In Deutschland übernehmen das meist Bestattungsinstitute, eher professionell-routiniert statt persönlich.
Nach der Beerdigung kommt das Erben. Hier zeigt sich ein gewaltiger Unterschied, der einiges verrät über die Hierarchie in den Familien. Ist das Spektakel vorbei, steht bei den Bété nicht selten das Haus des Verstorbenen leer. Nach der Zeremonie packen dessen Geschwister ein, was sie bekommen können. Wer zuerst den Fernseher beansprucht, kann ihn behalten. Die Kinder gehen oft leer aus – die jüngsten stehen in der Familienhierarchie ganz unten. Solidarität können sie nicht erwarten. Jeder achtet zuerst auf seine eigenen Interessen. Auch die Frauen müssen sich traditionell hintenanstellen. Waren sie mit dem Verstorbenen nicht verheiratet, kann die Familie sie sogar verstoßen.
In Deutschland ist dagegen alles genau geregelt: Vom Erbe gibt es laut Gesetz einen „Pflichtteil“ für Frau und Kinder. Sie gelten als die engsten Familienmitglieder, sie erhalten in der Regel das meiste. Enterben kann man sie nur bei schweren Vergehen. Fast jeder Deutsche hinterlässt auch ein Testament, in dem er Einzelheiten regelt. In Westafrika machen das allenfalls Reiche – die Notargebühren sind zu teuer.
Nach drei Tagen Spektakel ist Papa Bouagnon beerdigt. Er wurde 69 Jahre alt. Im Haus der Familie bleibt ein großes Foto von ihm. Er lacht darauf. „Deine Heiterkeit wird uns immer ein Vorbild sein“, steht auf dem Grabstein. „Ruhe in Frieden, Papa!“
Artikel aus "Le Patriot", vom 4.12.2008 (PDF, 500 KB)
veröffentlicht am 4.12.2008 in Le Patriote.