Ideen mit Nachwirkungen

Was verbirgt sich hinter dem Projekt „Nahaufnahme“?
Es ist ein neues Austauschprogramm des Goethe-Instituts für Journalisten. Redakteure aus Deutschland und aus islamisch geprägten Ländern wechseln für vier Wochen ihre Arbeitsplätze und schreiben für den Lokalteil ihrer Gastzeitungen. So geht beispielsweise ein Redakteur der Süddeutschen Zeitung an die Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste), und für ihn kommt ein Kollege aus Abidjan nach München. Im Augenblick sind sechs Zeitungen beteiligt, drei aus Deutschland und drei aus Afrika und dem Nahen Osten - aus Nigeria, dem Libanon und der Cote d'Ivoire.
Was erhoffen Sie sich von solch einem Austausch?
Die ungefilterten Beobachtungen der Journalisten können - neben Unterschieden - auch Gemeinsamkeiten sichtbar machen. Und um diese Gemeinsamkeiten geht es. Der Journalist wird beobachten, nachfragen, alltägliche und aufregende Vorfälle in seiner Umgebung notieren und darüber berichten - was eben ein Reporter für den Lokalteil, für „seine“ Leser interessant findet. Es geht also nicht so sehr um Analysen, wie sie im politischen Teil einer Zeitung auftauchen, sondern um eine Nahaufnahme.
Aber gerade der unverstellte Blick sorgt doch oft für Missverständnisse, um so mehr dann, wenn auch sprachliche Barrieren existieren?
Nicht unbedingt. Die Journalisten sind ja in die Redaktionen eingebunden und haben die Möglichkeit zum Austausch mit Kollegen vor Ort. Der Großteil der Journalisten beherrscht die Sprache, die im jeweiligen Gastland gesprochen wird. Daneben hilft Englisch als Brückensprache in den Redaktionen. Bei Bedarf stellt das Goethe-Institut auch Dolmetscher zur Verfügung. Das Sprachproblem lässt sich sicherlich nicht ganz lösen, ist aber vielleicht weniger relevant, wenn es gelingt, unvoreingenommen und aufmerksam zu sein.
In welcher Sprache schreibt der Gastjournalist?
In der eigenen Sprache, die Texte werden dann in die jeweilige Landessprache übersetzt.
Wird denn jeder Text des Gastautors abgedruckt?
Die Redaktionen entscheiden über die Veröffentlichung. Das Kriterium wird dabei ein journalistisches sein: Liefert der Artikel des Gastautors den Lesern interessante Einsichten. Daneben wird die Heimatredaktion des Journalisten auch den einen oder anderen Text abdrucken.
Wenn der Gastjournalist mit seinen Beobachtungen Kritisches zu Tage fördert und aufschreibt, könnte es also durchaus sein, dass der Artikel nicht ins Blatt kommt. Wir kennen das bislang doch eher von der arabischen als von der westlichen Welt, dass Unbequemes nicht veröffentlicht wird.
Die Journalisten werden die Themen ausdrücklich lokal aufziehen, Alltägliches wird thematisiert, da dürfte es zunächst keine politisch „großen Probleme“ geben. Die Entscheidung zu veröffentlichen, treffen letztlich die Gastgeber, die Zeitungen. Das Projekt wird übrigens gefördert vom Arbeitsstab des Auswärtigen Amtes für den Dialog mit islamisch geprägten Ländern, denen diese Möglichkeit, im Lokalteil der Zeitungen „ganz normale“ Beiträge aus der angeblich so anderen Welt zu finden, sehr eingeleuchtet hat. Veröffentlicht werden alle Artikel auf jeden Fall auf der mehrsprachigen Internetseite des Goethe-Instituts.
Gab es einen bestimmten Auslöser für solch ein Projekt?
Die Idee entstand aus Erfahrungen, die wir im Literaturbereich gemacht haben. Vor einiger Zeit haben wir deutsche Autoren als Stadtschreiber nach Kairo eingeladen und festgestellt, dass es attraktiv ist, wenn sich ein Autor eine ihm unbekannte Stadt anschauen kann und über seine Erfahrungen berichtet. Journalisten haben einen anderen Blick. Sie konzentrieren sich in einem festen täglichen oder wöchentlichen Rhythmus auf wichtige, interessante oder unterhaltsame Themen ihres Ressorts. Das journalistische Austauschprogramm ist ein Experiment. Wir sind gespannt darauf, wie es ausgehen wird und wie wir es weiterführen.
Sie scheinen da schon etwas im Kopf zu haben?
Mit der Nahaufnahme bringen wir Profis aus dem Journalismus zusammen. Wir planen solche professionellen Begegnungen auch in anderen Bereichen des öffentlichen und kulturellen Lebens zu verstärken. Im Arbeitsfeld Kultur und Entwicklung fördern wir nicht nur den Austausch, das voneinander Lernen, sondern auch die Produktion, das gemeinsame Arbeiten.
Was heißt das „gemeinsame Arbeiten“?
Indem das Projekt Professionelle aus Medien- und Kultureinrichtungen Deutschlands und aus den Gastländern zusammenbringt und in ihrem beruflichen Umfeld arbeiten und agieren lässt, entstehen - so hoffen wir - produktive Arbeitskontakte, die über die Zeit des Aufenthalts hinaus in Deutschland und im Gastland wirksam werden. Das erhoffen sich auch die Mitwirkenden an der Nahaufnahme.
Es ist am 20.10.2008 in der Frankfurter Rundschau erschienen.