Mumbai

Mumbai, 26.4.2011: Mumbai, wie es isst und kocht

 © Typisch für Mumbai: Essensstände am Straßenrand © Foto: Anja Wasserbäch Städte kennenzulernen geht auf ganz verschiedene Weise. Man kann sich der Fremde auch kulinarisch nähern. Und in der Migrantenstadt Mumbai ist dies außergewöhnlich spannend. Wie auch manche Wege, das Essen zu verteilen.

Endlich. Was bin ich stolz. Nach zwei Wochen habe ich den Dreh raus. Ich kann mit einer Hand das fluffig weiche Chapati- Brot zerteilen, ohne die linke Hand zu verwenden, tunke damit Dal auf, die schmackhafte Linsenpampe, und esse so eines meiner neuen Lieblingsgerichte. Leider gibt es viel zu viele davon. Die Inder essen mit der rechten Hand, weil die linke als unrein gilt. Dies aber ist eine andere Geschichte, hat etwas mit dem Toilettengang zu tun und passt überhaupt nicht in einen Text, in dem es ums Essen gehen soll.

Zuvor war ich dem, was man in Zentraleuropa als indisches Essen bezeichnet, einmal ganz nah. Dachte ich zumindest. Das war aber nicht in einem indischen Restaurant in Stuttgart, sondern in der Londoner Brick Lane, wo uns einige Inder und auch Pakistaner, die sich als Inder ausgeben, in ihre Curry-Restaurants zerrten. Heute weiß ich: DAS indische Essen gibt es nicht. Jetzt also Mumbai, mitten hinein in den kulinarischen Melting Pot, diesen verrückten Schmelztiegel. Jede Stadt hat ihre eigenen Geschmäcker und Gerüche. In Mumbai gibt es gleich eine Überdosis davon. In die Maximum City wandern täglich Tausende von Menschen aus allen Ecken des Subkontinents ein. Aus dem Norden, dem Süden, aus Goa, aus Radjasthan und, und, und. Und genau das macht das Essen in Mumbai so spannend. Es ist ein Konglomerat aus den verschiedensten Traditionen. Das ist in etwa so, als würde man in Stuttgart pfälzische, fränkische, bayrische und hanseatische Spezialitäten bekommen und diese noch in diverse Glaubensrichtungen unterteilen. In Mumbai kommt auf die Teller, was die Menschen von überall her mitgebracht haben.

Wir sitzen im New Martin, einem Etablissement, das nicht größer ist als der Udo Snack. Vor der Tür wird die Schlange immer länger. Kein Tourist verirrt sich hierher, nur die Mumbaikar, die hier Spezialitäten aus Goa ordern. Kein Gericht kostet mehr als 1,50 Euro. Wir ordern Chicken Vindaloo und Pork Sorpomel. Die Würstle aus Goa, die mir so ans Herz gelegt wurden, sind leider aus. Das Schweinefleisch schmeckt ein bisschen wie unser Gulasch und wird mit Brötchen aufgetunkt. Wie so vieles hier.

Es gibt allerlei Brotsorten, von denen ich noch nie zuvor gehört habe: Roti, Papap, Puri, Nan. Mein Favorit ist aber Chapati. Das passt zu allem. Zu Thali beispielsweise. Noch so eine wahnsinnige Spezialität, die in kleinen Schälchen serviert wird. Es gibt sie in verschiedenen Geschmacksrichtungen und für uns Europäer in verschiedenen Schärfegraden. Sogar eine leichte ayurvedische Variante ist zu haben, weil auch die Mumbaikar immer mehr auf ihre Gesundheit achten.

Das Stadtbild wird auch von Straßenständen geprägt, vor denen natürlich jeder warnt. Mumbais Menschen stehen unter Strom. Alle hetzen von A nach B. Das Zeug, was am löchrigen Straßenrand angeboten wird, ist tatsächlich Fast Food. Schnelles Essen auf die Hand, und das zu Schnäppchenpreisen. Eine echte Spezialität ist Vada pav, eine Art frittierter Kartoffelstampf, der in ein Brötchen gepresst wird. Vor einiger Zeit wurde der Preis um zwei Rupien (von acht auf zehn) erhöht, wegen der Inflation, was für regelrechten Unmut bei den Mumbaikar sorgte. Außerdem ist Pav Bahij der Topseller, bei dem eine Mischung aus Kartoffeln, Chili und Tomaten in ein Weißbrot geschmiert wird. Das sind alles Spezialitäten, die von der hart schuftenden Landbevölkerung mitgebracht wurden und natürlich nie in eine „Brigitte“-Diät aufgenommen würden. Ebenso wenig Dosa: ein hauchdünner, knuspriger Pfannkuchen, der mal mit Kartoffeln oder Käse gefüllt sein kann und der ein wenig nach Karamell schmeckt. Dazu gibt es ein Kokoschutney, das ich zuerst für Meerrettich hielt. Herrlich! Eine der besten Erfrischungen in der feuchten Nachmittagshitze aber war eine schlichte, frisch aufgeschnittene Gurke, bestreut mit Masala, der scharfen Chili-Salz-Mischung.

Um die Mittagszeit rund um den Bahnhof Churchgate lässt sich noch ein anderes Phänomen beobachten: die Dabbawallahs, die es wirklich nur in Mumbai gibt. Die Männer tragen lange Behältnisse auf dem Kopf, in denen wiederum zig Blechbüchsen aneinandergereiht sind. Diese werden wiederum auf dem Boden nach einem mir unverständlichen Zahlen- und Farbsystem geordnet, damit sie dann weitertransportiert werden. So finden in Mumbai täglich rund 200 000 Essen, die von den Frauen am Vormittag zu Hause gekocht wurden, zu ihren Männern in den Büros. Die Fehlerquote soll marginal sein. Es heißt, es gebe nur eine Fehllieferung unter 16 000 000. Das fand sogar Richard Branson so bemerkenswert, dass er die Systemgastronomie der Dabbawallahs untersuchte. Vor allem ist das für die Angestellten in der Stadt immer noch billiger als das Fast Food von nebenan. Und ohnehin ist das Beste, was man haben kann: Hausgemachtes.

Dabei wird in Mumbai wirklich selten selbst gekocht – zumindest ab der aufstrebenden Mittelschicht. Die lassen kochen. Je nach Glaubensrichtung gibt es in den vier Wänden zu Hause nur vegetarisch, kein Schweinefleisch oder eben alles. Einmal brachte eine Kollegin (Katholikin) Rinderzunge in der Tupperschüssel mit ins Büro. Als Nachmittagssnack, den kaum eine der Kolleginnen – außer der Vegetarierin (Jaina) – unangetastet ließen.

In Mumbai aber kommen nicht nur die Spezialitäten des Landes und der verschiedenen Glaubensrichtungen auf die Teller. Neben parsischen, gujaratischen oder malanischen Essen gibt es auch iranische, libanesische, italienische, mexikanische, amerikanische und chinesische Küche. Das äußert sich darin, dass es wunderbare Dim Sums und knuspriges noch brutzelndes Chicken Teriyaki gibt. Fakt ist: Ich habe in Deutschland noch nie so gut chinesisch gegessen wie in Indien.

Anja Wasserbäch
veröffentlicht am 26. April 2011 in den Stuttgarter Nachrichten.

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