Mumbai

Mumbai, 16.4.2011: Schnee, der von der Decke fällt

 © Protzige Trutzburg: Schoener Wohnen in Mumbai © Foto: Anja WasserbächDie Schere zwischen Arm und Reich ist vielleicht nirgendwo größer als in Mumbai. Das teuerste Privathaus der Welt steht hier, täglich kämpfen 60 Prozent der Menschen ums Überleben.

Mumbais Killesberg liegt im Süden in der Altamount Road. In dieser Halbhöhenlage steht das teuerste Einfamilienhaus der Welt. Ich kann den Kopf gar nicht so weit in den Nacken legen, dass ich wirklich alles von diesem Monstrum sehe. Auf dem Hügel an der Südspitze der Stadt hat sich der Milliardär Mukesh Ambani sein Häusle, besser gesagt ein gigantisches Hochhaus, bauen lassen. Es wirkt wie ein Fremdkörper zwischen Häusern aus der Kolonialzeit, von denen der Putz bröckelt.

Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Nachts mit der Beleuchtung sieht das 27-Stock-Ufo von Ambani aber besser aus als tagsüber, wenn man sich über den unförmigen Wolkenkratzer wundert. Die Faktenlage: 173 Meter hoch, 4500 Quadratmeter Platz. Da kann man die Kinder schon mal springen lassen. Mukesh Ambani ist einer der reichsten Menschen der Welt, laut „Forbes“-Liste auf Platz neun mit 27 Milliarden US-Dollar. Wer gut im Dreisatz ist, kann sich nun leicht ausrechnen, wie viel Prozent seines Vermögens er ausgegeben hat, wenn es stimmt, dass die Immobilie rund 70 Millionen Dollar gekostet hat. Ich kann das nicht. Da sind zu viele Nullen im Spiel. Ich kann mir aber vorstellen, wie sich Frau Ambani gefreut hat, als sie gesehen hat, dass es neben drei Schwimmbecken, Jacuzzi, Solarium, Yogastudio und Spa-Schnickschnack auch wirklich noch einen Raum gibt, in dem Schnee von der Decke fällt. Das tut gut, eine Abkühlung in der feuchtwarmen Smog-Luft der Stadt.

Die dicken Ambani-Kinder laden zum Geburtstag ins Privatkino, toben in den Hängenden Gärten und blicken auf den Smog der Stadt. Herrlich. Wenn sich eines der geladenen Kinderlein beim Cricket-Spielen das Knie aufschürft, kann es das Pflästerchen in der Privatklinik abholen. Und vielleicht landet Baba ja gerade auf seinem Hubschrauberlandeplatz.

Hier am Fuße des Ambani-Hauses manifestiert sich die Absurdität der Stadt, in der rund 60 Prozent der Menschen bettelarm sind und von monatlich nicht einmal 100 Euro leben. Mumbai ist auch die Stadt des Turbokapitalismus. In der Altamount Road kostet ein Quadratmeter mehr als 10 000 US-Dollar. Und es ist nicht so, dass hier alles fein rausgeputzt ist. Auch hier leben Menschen zwischen Müll auf der Straße.

Mumbai ist alles. Vor allem ist es eng. Mumbai wurde nicht auf sieben Hügeln, sondern auf einem Sumpfgebiet erbaut. Und die Stadt wächst jeden Tag. Die Mumbaikar haben ein eminentes Platzproblem. Deshalb bauen sie in die Höhe und wollen aus dem Slum Dharavi, um den die Stadt wuchert, am liebsten ein Wohnviertel mit noch mehr Wolkenkratzern machen. Der Architekt Mukesh Mehta hat sich das stadtplanerische Konzept dafür ausgedacht. Die Dharavi-Bewohner sollen zwangsumgesiedelt werden. In Turbokapitalismus-City ist kein Platz für die Armen, die oft in den Häusern der Reichen putzen, waschen und kochen. Mumbai ist zu klein. Der Süden ist von drei Seiten von Wasser umgeben. Es kann nur nach Norden wachsen, im Süden aber sitzt die Macht, die Finanzwelt und somit auch das Geld.

Was mir immer wieder auffällt: Niemand neidet den Schönen und Reichen ihren Erfolg. Die Reichen haben kein Problem mit der Armut, die Armen aber auch nicht mit den Reichen. Wenn ich etwa im Gespräch die Notwendigkeit eines 27-Stock-Hauses für die Gattin, drei Kinderlein und Frau Mama infrage stelle, heißt es nur: „Ach, der braucht den Platz.“

Es gibt aber hier in Mumbai nicht nur einen Killesberg in XXL-Format. Es gibt noch Bandra, das Trendy-Viertel, in dem Hotels wie das Taj Mahal Lands am verdreckten Strand stehen und Bollywood- Stars mit ihren absurden Palästen protzen. Und Juhu-Beach, der Frauenkopf, der nicht oben, sondern am Meer liegt. In der Megacity Mumbai leben mehr Millionäre als in Manhattan. Vor zwei Wochen haben Bill Gates und Warren Buffet Indien besucht. Im Fernsehen sagten sie etwas Verrücktes: Die Reichen in Indien sollen den Armen doch etwas abgeben von ihrem Geld. Doch hier heißt es bei der Frage nach der sozialen Verantwortung: Nie gehört. Der Maserati, der am Slum vorbeibrettert, ist Normalität.

Einer der größten Bollywood-Stars, der sehr sympathisch von allerlei Werbeplakaten grinst, ist Amitabh Bachchan. Eigentlich Schauspieler und zudem so etwas wie der Günther Jauch Indiens. Bachchan hat das indische „Wer wird Millionär?“ moderiert. Während Jauch ja angeblich sehr sparsam ist und nie mit seinem Reichtum protzen würde, wissen hier alle, wie und wo Bollywoods Elite lebt. Sie warten vor seinem Haus, manchmal kommt er heraus und winkt seinen Fans.

Auch vor Shah Rukh Khans Haus sitzen an diesem schönen warmen Abend die Mädchen in bunten Saris auf der Mauer. Im Rücken das Meer, im Blick der moderne, wahnwitzige Palast, in dem angeblich auch noch ein paar Freunde Khans leben.
Auch mein neuer Freund Aneesh mag Shah Rukh Khan. Alle lieben Shah Rukh Khan. „Er ist eben King Khan“, sagt Aneesh. Von diesem König erzählt man sich hier in Mumbai eine schöne Legende. Als kleiner Junge soll er auf einen Punkt in Bandra gezeigt und „Mannat“ gesagt haben. Heute steht dieses Wort an dem eisernen Tor zu seiner Hofeinfahrt. Am Strand von Bandra. „Mannat“ heißt so viel wie Wunschtraum.

Anja Wasserbäch
veröffentlicht am 16. April 2011 in den Stuttgarter Nachrichten.

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