Mumbai

Mumbai, 31.3.2011: Atomkraft? Ja, bitte!

 © Ein Kernkraftwerk in Gujarat, Indien © iStockUm seinen Energiehunger zu stillen, baut Indien in Jaitapur das größte Kernkraftwerk der Welt.

Das Nachrichtenmagazin „India Today“ bringt das Thema vergangene Woche auf den Titel. „Is India a Nuclear Time Bomb?“ – ist Indien eine nukleare Zeitbombe, fragt sich der Autor Sandeep Unnithan und entwirft ein Szenario, dass eine Katastrophe wie in Japan auch in Indien passieren könne. Atomenergie ist zwar Thema von Schlagzeilen und TV-Diskussionen in Mumbai, ein Richtungswechsel in Indiens Atompolitik ist jedoch nicht zu beobachten. Greenpeace Indien bezweifelt die Position der Regierung, die sagt, dass die Kraftwerke zu hundert Prozent sicher seien.

Indien will zur Großmacht aufsteigen und benötigt dazu viel Energie. Schon jetzt kann der Staat seinen Strombedarf nicht decken. Das riesige Land wächst und wächst. So auch die Atomkraft Indiens. „Im Moment macht Atomkraft gerade mal vier Prozent unseres Energiehaushalts aus“, sagt Karuna Raina, Energiebeauftrage von Greenpeace Indien. „2020 sollen es schon 25 Prozent sein.“ Es gibt 20 Kernkraftwerke im Land, vier weitere sollen bis 2013 fertiggestellt werden und sechs Atomkraftwerke sind in der Planung. Derzeit wird in Jaitapur, etwa 300 Kilometer südlich von Mumbai gelegen, ein Atomkraftwerk gebaut, das das größte der Welt werden soll. Mit einer Leistung von 9900 Megawatt.

Jetzt aber findet ein Nachdenken statt, zumindest in der Theorie. In hitzigen TV Diskussionen wird der Premierminister Manmohan Singh zu einem Richtungswechsel aufgefordert, immer wieder wird Deutschland als Beispiel angebracht. Singh sagt, dass man von den Erfahrungen aus Japan lernen müsse, von seinem Atomkurs abweichen, das wolle er jedoch nicht. Singh hat zumindest angeordnet, dass die 20 Atomkraftwerke im Land überprüft werden sollen. Der Umweltminister Jairam Ramesh sagte, dass man das Projekt Jaitapur überdenken müsse. Solche Äußerungen sind aber mit Vorsicht zu genießen. „Ich denke nicht, dass wir auf Zurückspulen drücken müssen“, sagt Ramesh, „aber auch nicht auf die Vorwärtstaste.“

Schließlich geht es um viel Geld. Die Kraftwerkstechnologien kommen aus Russland, Frankreich und den USA. Dafür will Indien mehr als 175 Milliarden Dollar ausgeben. In Jaitapur ist Frankreich mit von der Partie. So reiste der französische Präsident im Dezember 2010 eigens nach Delhi, um die Verträge für den Bau zu unterzeichnen.

Der Ministerpräsident von Maharashrta, Prithviraj Chavan, sprach sich jüngst einmal mehr für das kontroverse Projekt aus. Er betonte, dass in drei oder vier Jahrzehnten die natürlichen Energievorkommen aufgebraucht seien. Das Atomkraftwerk in Jaitapur sei absolut sicher, erklärte Chavan in einer Pressekonferenz in Mumbai.

Umweltaktivisten und Experten sagen jedoch, dass Jaitapur in einem Erdbebengebiet mit hoher seismischer Aktivität liegt. Nach Angaben von „India Today“ wurde 2008 ganz in der Nähe ein Beben der Stärke 5 auf der Richterskala gemessen. Der Wissenschaftler und Atomkraftgegner Pradeep Indulkar sieht darin eine der Gefahren: „Die Stärke in einer seismischen Zone bleibt entweder gleich oder verstärkt sich noch“, sagt Indulkar der „India Today“.

Karuna Raina, die Atomkraftbeauftragte von Greenpeace Indien, erklärte bei einer Pressekonferenz in Mumbai, dass die Angaben der Regierung falsch seien. „Die Befürworter des Projekts behaupten, Jaitapur läge in Zone 3“, so Raina, „das Geologische Institut Indiens stellte aber fest, dass Jaitapur in der seismischen Zone 4 liegt, die höchste ist die Zone 5.“ Raina wirft der Regierung zudem vor, dass Naturkatastrophen wie etwa Tsunamis bei der Planung des Atomkraftwerks nicht einmal in Betracht gezogen wurden. „Dabei liegt Jaitapur direkt an der Küste“, so Raina.

Eine der umtriebigsten Aktivistinnen gegen das Projekt ist Vaishali Patil aus Mumbai. „Die Regierung sagt, dass sie alles geprüft habe. Das stimmt aber so nicht“, sagt Patil unserer Zeitung und verweist auf das Ozeanografische Institut in Goa, das die Umweltverträglichkeit des Projekts infrage stellt. In der Gegend um Jaitapur müssen Mangrovenwälder und Mangoplantagen dem Bau weichen. Bauern verlieren ihren Grund, Fischer werden umgesiedelt.

Vereinzelt finden in Mumbai und Umgebung Demonstrationen statt. An Tausende von Teilnehmern oder eine Menschenketten wie in Deutschland ist dabei aber nicht zu denken. Zu einer Demonstration vergangene Woche kamen gerademal 500 Menschen, gemessen an der Größe der Bevölkerung von über einer Milliarde geradezu gering. Eine Online-Petition gegen Atomkraft, die von Greenpeace Indien initiiert wurde, haben bis dato 60 000 Menschen unterzeichnet. Die Revolution muss noch warten.

Anja Wasserbäch
veröffentlicht am 31. März 2011 in den Stuttgarter Nachrichten.

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