Mumbai

Mumbai, 30.3.2011: Paradies und Hölle Mumbai

 © Gateway of India © Foto: Anja WasserbächMumbai umarmt einen nicht zur Begrüßung, sondern verpasst einem erst einmal einen Schlag in die Magengegend. Eindrücke aus Mumbai, Stuttgarts ungleicher Schwester. Oder etwa doch aus Bombay?

Zaghaft sind meine Schritte raus auf die Straße. Rein in das Chaos. Touristen erkennt man hier sofort. Nicht nur an ihrem Aussehen, sondern auch daran, wie sie apathisch im Slalom über Kreuzungen springen. Ampelschaltungen, Straßenschilder? Keinen scheint es zu interessieren.

Das ist aber nicht weiter schlimm, weil die Höchstgeschwindigkeit vielleicht maximal 20 Kilometer die Stunde beträgt. Mumbai stockt. Mumbai schwitzt. Eine meiner ersten Stationen ist das Wahrzeichen der Stadt: das Gateway of India am Südzipfel. Kinder springen in das Wasser, das so verschmutzt ist, dass man hier wirklich nicht baden sollte. Die herumstehende Männermeute klatscht.

Indiens Triumphbogen, der wie viele andere Prachtbauten vom englischen Architekten George Wittet entworfen wurde, wurde zu Ehren des britischen Königs Georg V. errichtet. Heute ist er eher das Symbol für den Abschied der Engländer: Hier hat 1948 das letzte britische Schiff Indien verlassen. Dahinter steht das Hotel Taj Mahal Palace, das aussieht wie eine viel zu üppig verzierte Torte.

Die Engländer haben sichtbare Spuren hinterlassen. Aber auch ein paar sprachliche. Mumbai heißt die Stadt seit 1995, als die rechte Hindu-Partei Shiv Sena an die Macht kam. Nach der Hindu-Göttin Mumbadevi, der Stadtwächterin, sollte Bombay fortan Mumbai heißen – und alle offiziellen Einrichtungen oder auch Zeitungen machten die Namensänderung mit. Die Europäerin in der doch so fremden Stadt will natürlich politisch korrekt sein und sagt konsequent Mumbai. Zumindest die ersten Tage.

Doch fast alle nennen ihre Stadt Bombay. Es ist die Gewohnheit, sagen die einen. Die anderen behaupten, es ist ein Statement gegen die nationalistische Partei, die Bombay umbenannt hat. Wie sie es weiterhin mit so vielen Orten, Gebäuden und Straßen macht. Das Prince of Wales Museum wurde in Chhatrapati Shivaji Vastu Sangrahalaya umbenannt, der Bahnhof Victoria Terminus heißt heute Chhatrapati Shivaji Terminus. Das ist selbst den Mumbaikars viel zu kompliziert. So verwenden sie lieber die alten Namen. Stadtpläne können sie gar nicht entziffern, weil darauf die neuen Namen eingezeichnet sind, die ihnen nichts sagen.

Für viele ist Mumbai die Stadt der Träume. Täglich wandern viele, viele Menschen nach Mumbai ein. Die Schätzungen liegen zwischen 500 und 1000. Genaue Zahlen gibt es natürlich nicht. Mein neuer Freund Aneesh, der mich jeden Tag begrüßt und verabschiedet, ist einer von ihnen. „Bombay, I like“, sagt er. Seine Familie ist irgendwo in Kerala, im Süden Indiens. Seine Träume liegen hier in Mumbai. Für den Fremden ist diese Millionenmetropole ein riesiges Wimmelbild, dem man sich nur in Ausschnitten nähern kann. Das Problem: Je näher man ihm kommt, umso verwirrender wird es. Suketa Metha nennt in seinem Roman „Bombay – Maximum City“ die Stadt „Paradies und Hölle“.

Als Besucherin hat man sich auch nach ein paar Tagen noch nicht an das Elend gewöhnt. An die Mädchen, die mit ihren großen Augen ins Taxifenster starren. Die betteln, dass es einem das Herz bricht. An die Menschen, die auf der Straße leben. Auch nicht an die Gerüche. Morgens etwa riecht es wunderbar nach Seife in meinem Viertel Colaba. Die Familie an der Straßenecke bereitet sich auf den Tag vor. Die Kinder werden gewaschen. Die Großmutter schneidet Zwiebeln und Koriander. Hinter ihr hängt die Wäsche zum Trocknen an einer Mauer. Zwei Meter weiter riecht es nach Fett und Knoblauch. Dann nach Scheiße.

An den Lärm dieser Stadt kann man sich nicht gewöhnen. Auch nicht an die ununterbrochen spuckenden Männer. Nicht an die streunenden Hunde, die abgemagerten Katzen. Und man gewöhnt sich nicht daran, dass Mumbai eine Dienstleistungsstadt ist, in der Chai-Wallahs den Tee an den Schreibtisch liefern, in der man sich die Ohren auf der Straße ausputzen lassen kann.

Mumbai ist alles. Armut und Reichtum. Überall. Tradition und Moderne. Ost und West. Die Stadt begrüßt einen nicht mit einer Umarmung, heißt mich nicht herzlich willkommen, sondern verpasst mir viel mehr einen Schlag in die Magengegend. Es ist eine Stadt, die einen ständig fordert und überfordert. Natürlich kann man Mumbai nicht mit westlichem Maßstab messen. Auch wenn der Westen immer wieder durchblitzt hier. Im klimatisierten Café etwa, in dem es Frappuccino und Eistee zu kaufen gibt. Inderinnen ordern Latte Macchiato für umgerechnet einen Euro. Eine Menge Geld für die Familie, die gegenüber auf dem Bordstein lebt. Im Café läuft Cheryl Coles überdrehter Popsong „Fight For Love“. Man hört auf einmal nur: „We gotta fight, fight for the stuff.“ Kämpfen müssen hier die meisten. Um alles. Ums Überleben. Oder um ein besseres Leben. Bombay, der Name hat portugiesische Wurzeln. Er heißt so viel wie „gute Bucht“.

Anja Wasserbäch
veröffentlicht am 30. März 2011 in den Stuttgarter Nachrichten.

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