Mumbai

Mumbai, 24.3.2011: Alles so schön bunt hier

 © Indische Frauen feiern das Frühlingsfest Holi © Foto: Anja Wasserbäch Die Inder feiern viele Feste. Das ausgelassene Frühlingsfest heißt Holi und ist ein lustiges Straßenfest der Farben, bei dem Kinder sich und andere mit Farben und Wasser besudeln. Vor allem mich, diese große, weiße Frau.

"Very hot, Madame", sagt Aneesh. So wie jeden Tag, wenn ich die klimatisierte Trutzburg verlasse. "Very hot", sage ich. Aneesh wackelt mit dem Kopf, wie er es immer macht, wenn er vermutlich "Ja, stimmt" meint. Heute ist er sehr wahr, dieser kurze Satz. Es ist heiß. Verdammt heiß.

Es hat Rekordtemperaturen in Mumbai, wie schon seit vielen Jahren nicht mehr um diese Jahreszeit. 41,6 Grad zeigt ein Thermometer in dem Touristen- und Ausgehviertel Colaba an. Die Menschen schieben es auf den Klimawandel und schwitzen. Eng an eng drängeln sie sich durch die Straßen. Die Hände kleben, die Haare sind feucht. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch. Die Touristen schlappen in Flip-Flops durch die Straßen und können die Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor 50 im Koffer lassen. Der Smog lässt sowieso keine Sonne durch.

Eigentlich wird es erst nach Holi, dem Feiertag, an dem der Frühling farbenfroh begrüßt wird, so richtig heiß hier. Frühling kann man das nicht nennen: Die Inder kennen Winter, Sommer und die Monsun-Zeit, die sie jedes Jahr herbeisehnen. Wasser ist für die Megacity Mumbai überlebensnotwendig. Für die vielen Menschen aber, die auf der Straße leben, ist der Dauerregen zugleich eine riesige Bedrohung. Mumbai versinkt jedes Jahr im Juni im Regen. Häuser stürzen ein, überschwemmte Gleise legen regelmäßig den Bahnverkehr lahm.

An den Monsun denken die Einwohner Mumbais noch nicht. Erst kommt Holi, eine Art Frühlingsfest ohne Bierbänke. Frühlingsfest funktioniert in Indien ohne ein Prosit der Gemütlichkeit, sondern mit vielen Farben und hinduistischen Zeremonien. "Happy Holi", wünschen die TV-Moderatorinnen, Aneesh wünscht "Happy Holi", alle wünschen "Happy Holi". In der Zeitung stehen Tipps, welche gesundheitsunschädliche Farben man kaufen soll. Man trägt alte Klamotten. Hosen, Shirts und Schuhe, die man danach entsorgen kann.

Holi wird draußen in Höfen gefeiert. In den sogenannten Colonies. Nein, mit den Engländern habe das nichts zu tun, sagt Sukhada. Diese Colonies funktionieren viel mehr wie einzelne Dörfer in der Megastadt. Man kennt, schätzt und hilft sich. Hier wohnen Menschen aus demselben Milieu, die Verwandtschaft, die Freunde.

In der Nacht beginnt Holi im Hinterhof mit einem Lagerfeuer, das die bösen Geister vertreiben soll. Man isst Sev Puri, kleine Knäckebrote mit Zwiebeln, Koriander und Blumenkohl, geht zu den Nachbarn und wünscht ihnen "Happy Holi". Je nach Religionszugehörigkeit verläuft das Fest ein bisschen anders. Manche verweigern sich Holi, viele feiern es, egal ob sie gläubig sind oder nicht. Es ist ein bisschen so wie bei uns, wenn Menschen an Weihnachten in die Kirche gehen, die sonst nie dort zu sehen sind. Den Farbenspaß wollen viele, manche auch ein bisschen Rausch.

Am nächsten Tag sind wir bei Pallavi in einer Schriftsteller-Kolonie eingeladen. Megghna, Deepika und viele Freunde sind gekommen. Pallavi begrüßt ihre Gäste mit einem satten Spritzer aus der riesigen Wasserpistole, es folgen Wasserbomben, dann kommt das bunte Pulver. Sie streut es über die Gäste, beschmiert Gesichter, Arme und jedes Stückchen freie Haut. Alle leuchten. Pink, gelb, orange, lila und grün. Aufgehört wird erst, wenn die Farbe aufgebraucht ist. Im Mund breitet sich der Geschmack von Kreide aus. Die Nachbarskinder freuen sich über die große, weiße Frau, auf die sie extra viele Wasserbomben werfen. "Schau mal, all die weiße Haut ist verschwunden", sagt Megghna.

Sie warnt mich auch noch davor, heute durch die Straßen Mumbais zu gehen. Denn das ausgelassene, farbenfrohe Holi-Fest hat auch seine Schattenseiten. Die Männer trinken Bhang, ein Teufelszeug aus Hanf, Milch und irgendwelchen anderen Substanzen. Berauscht ziehen sie dann durch die Straßen. "You enjoyed Holi?", fragt Aneesh, als ich wieder zurückkomme. Ob ich es genossen habe? Ich versuche ungelenk mit dem Kopf zu wackeln.

Die rote Farbe ist auch zwei Tage später noch in den Haaren zu sehen.

Anja Wasserbäch
veröffentlicht am 24. März 2011 in den Stuttgarter Nachrichten.

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