Mumbai

Mumbai, 21.3.2011: Mumbai ist nicht Manhattan

 © Im Stadtbild von Mumbai allgegenwärtig: die Taxis © Foto: Anja Wasserbäch Hupende Taxis und Hupen-verboten- Schilder, Wolkenkratzer und Wellblechhütten: Mumbai ist Moloch und Megacity. Anja Wasserbäch, Redakteurin der Stuttgarter Nachrichten, schildert ihre ersten Eindrücke aus der indischen Metropole, von der nicht mal die Einwohnerzahl bekannt ist.

Herr Gopal lacht. „Der ist aus London“, sagt er und zeigt auf sein Auto. Er steigt rechts ein. Da ist die Fahrerseite. Den Linksverkehr haben die Engländer in Indien gelassen. So auch Gebäude der Kolonialzeit und die Cadbury-Schokolade, die überall beworben wird.

Mumbai ist laut. Sehr laut. Es wird ständig gehupt. Im selben Rhythmus wie bei uns etwa geblinkt wird. Oder so. Warum nur drei Spuren benutzen, wenn auch vier Autos locker nebeneinander passen?

Überall sieht man die gelb-schwarzen Taxis, die wie Bienen herum brummen. Vielleicht auch eher wie schwere, fette Hummeln, die kaum vom Fleck kommen. Sie wollen zwar, können aber nicht so richtig, weil es nicht vorwärts geht. Das sind die ohne Klimaanlage, sagt Herr Gopal. Seit 1976 arbeitet er als Fahrer für das Goethe-Institut. Er kennt die Stadt. Aber auch er weiß nicht, wie viele Menschen im Moment hier leben. In Mumbai, der Stadt, die seit 1968 Partnerstadt Stuttgarts ist. Mumbai wächst und wächst. Ungefähr 15 oder 16 Millionen Menschen leben hier. Vielleicht auch 20 Millionen. Niemand weiß das so genau. Nur ein Bruchteil davon fährt Auto – und dennoch sind so viele Menschen in Gefährten unterwegs. In Taxen, Suzuki, Rikschas und Kutschen. Auf Motorrädern trägt man keinen Helm. Dafür aber schon mal weiße Ohrstöpsel eines MP3-Gerätes. Vor lauter Hupen hört man sowieso nicht, welches für einen selbst bestimmt ist.

Auf dem Rajiv Gandhi Sea Link, eine Art Stadtautobahn, die die Stadtteile Bandra und Warli verbindet und die Fahrzeit von 45 Minuten auf gerade mal sieben verkürzt, sieht man Wolkenkratzer im Nebel. Wenn man die Augen ein bisschen zusammenkneift, könnte man meinen, dass dies die Silhouette Manhattans ist. Es kommt schließlich nicht von ungefähr, dass Mumbai für manche das New York des Ostens ist. Davor aber viele Wellblechhütten. Der Slum ist überall. Mumbai ist Megacity und Moloch. Alles auf einmal. Und vor allem: alles sehr nah beieinander. Schon im Flugzeug sieht man die Dächer von Dharavi, dem größten Slum Asiens. Wie viele hier unter dem Meer von grauen Wellblechen leben? Man weiß es nicht. Schätzungen liegen irgendwo zwischen 600 000 und einer Million Menschen.

Dharavi ist ein Slum, den man aus dem mit acht Oscars ausgezeichneten Film „Slumdog Millionär“ von Danny Boyle aus dem Jahr 2008 kennt. Jetzt liegt er direkt unter einem. Ist so nah, dass die Menschen als fußballspielende Kinder und herumsitzende Frauen zu erkennen sind. Dharavi wurde von der Stadt umzingelt. Eingekreist von Hochhäusern und Wohnblocks. Das Elend ist hier inmitten der Großstadt, für die dieses Wort schlichtweg zu klein erscheint. Es gibt Stadtteile wie beispielsweise Andheri, der so viele Einwohner wie Berlin hat.

Es ist Sonntag. Ein ruhiger Tag, sagt Gopal, dessen voller Name Gopal Sudelei Muthu lautet. Doch angesprochen wird man nur mit Vornamen. Morgen, am Montag, da sehe der Verkehr schon ganz anders aus.

Und ja, er hat recht. In der üblichen Rushhour, der Hauptverkehrszeit, die hier viel länger als eine Stunde dauert, braucht man für drei Kilometer locker eine halbe Stunde. Das entspricht in etwa der Strecke vom Charlottenplatz bis zur Türlenstraße in Stuttgart. Zu Fuß wäre man wohl schneller. Doch der Mumbaikar, so nennen sich die Einwohner von Mumbai, läuft nicht. Er lässt sich fahren, wenn er es sich leisten kann. Eine Taxifahrt von drei Kilometern kostet um die 30 Rupien, das sind ungefähr 50 Cent.

Der Nebel war übrigens auch am nächsten Tag nicht verschwunden. Es ist schlichtweg der Smog. Der ist immer da.

Anja Wasserbäch
veröffentlicht am 21. März 2011 in den Stuttgarter Nachrichten.

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