Nürtingen

Nürtingen, 24.4.2012: Der grüne Traum lebt nicht zuletzt im Schwabenland

 © Vor-Ort-Termin bei ZinCo: Aditi Guha mit Wolfgang Ansel (li) und Roland Appl © Foto: Jürgen GerrmannDas Thema war eines der ersten, auf das ich bei meinen Recherchen über Nürtingen stieß, bevor ich im Rahmen eines Journalistenaustauschs im April meine Reise in diese wunderschöne Stadt antrat. Das Konzept der Dachbegrünung (Green Roofs, GR) faszinierte mich.

Ein Ansatz, dessen Ursprünge in Deutschland und in der Schweiz liegen und der auch für Nürtingen charakteristisch ist. Soweit ich den Begriff deuten konnte, musste es sich um eine Technologie für eine bessere und sauberere Umwelt handeln, die der Bekämpfung des Klimawandels dient. So musste ich mich weiter einlesen und mit Experten sprechen, um herauszufinden, ob dieser Ansatz nicht auch für manch ein Gebäude in meinem Heimatland eine optimale Lösung darstellen könnte. Die Antwort erhielt ich bei der IGRA (International Green Roof Association).

Die IGRA wird in Kürze erstmalig an der Roof India 2012 teilnehmen, einer Messe, die vom 25. bis 27. Mai 2012 im Chennai Trade Centre in Chennai (Indien) stattfindet. Im Mittelpunkt der Messe stehen Dachdeckungssysteme, Fassadenverkleidungen, Fassadentechnik, Fertighäuser, Stahlkonstruktionssysteme, Raumfachwerk, Spanngewebestrukturen, Dachabdichtungen, Dachisolierungen, Dachbefestigungen usw. Da Stuttgart die Dachbegrünungs-Hauptstadt der Welt ist, lag es für mich nahe, mehr über die Technologie zu erfahren, die viele Umweltprobleme weltweit lösen könnte.

Einem aktuellen Bericht zufolge steht Indien in der Energieversorgungssicherheit vor Herausforderungen. Der renommierte Umweltwissenschaftler R.K. Pachauri, Generaldirektor des Energy and Resources Institute (TERI), erklärte kürzlich im indischen Kolkata (Kalkutta), dass die Energienachfrage in Indien ein bedenkliches Maß erreicht hat. Seiner Aussage zufolge könnten die Betriebskosten von Gebäuden durch ökologische Maßnahmen um 30 bis 40 Prozent gesenkt werden. Pachauri leitet auch den mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel for Climate Change). Der IPCC ist ein zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen, der 1988 von zwei UN-Organisationen – der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) und dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) – ins Leben gerufen und später von der UN-Generalversammlung bestätigt wurde.

Dieser Hintergrund und die Zusage der IGRA schienen mir positive Voraussetzungen dafür zu sein, dass diese neue Technologie auch indischen Städten zugute kommen kann, in denen Nachhaltigkeit im Bau praktiziert wird und Dachbegrünungen sinnvoll eingesetzt werden könnten.

Wolfgang Ansel, Leiter der IGRA, setzt sich für eine breitere Nutzung der Technologie ein: „Die großen Städte der ganzen Welt weisen mehr oder weniger die gleichen Bedingungen und ähnliche Probleme auf. Indien ist ein riesiger Markt mit großem Potenzial. Länder wie Japan, China oder Singapur wenden seit Jahrzehnten Gründachtechnologien an und auch Indien sollte sich nun an die Arbeit machen.“ Auch wenn das Konzept in Nord- und Südamerika, in Europa und in Teilen Asiens recht populär ist, muss in Städten wie dem indischen Kolkata der richtige Ansatz gewählt werden, damit es funktioniert. „Deutschland hat eine lange Tradition der Dachbegrünung, die in den 1970er und 80er Jahren begann. Die Hauptmotivation waren ökologische Antworten auf Umweltfragen. Die Frage war, wie man eine Technologie entwickelt, die für den Einsatz in Gebäuden geeignet ist, auch dann, wenn diese keine besonders hohe Tragfähigkeit aufweisen. Außerdem ging es um eine kostengünstige Umsetzung und um die Ausgestaltung staatlicher bzw. kommunaler Bestimmungen für die Realisierung von Gründächern.“ In Deutschland wird das Konzept als extensive Dachbegrünung bezeichnet. Für die englischsprachigen Architekten und Bauplaner in Indien könnte diese Bezeichnung allerdings irreführend sein, da „extensive“ auf Englisch so viel wie „groß/weitläufig“ bedeutet, während der Begriff im Deutschen auf den geringen Pflegeaufwand hinweist. „Jeder, der ein kleines Dach, eine Garage oder eine sonstige Fläche hat, die geringfügig bewässert wird, kann Dachbegrünungen realisieren. Alles, was man darüber hinaus braucht, sind bestimmte Pflanzen, die auch unter extremen Bedingungen gedeihen, wie etwa im Falle eines Bewässerungsüberschusses oder einer Wasserknappheit. Die „Zauberpflanzen“ wachsen nach der Aussaat und Aufzucht sehr schnell heran und erreichen eine Höhe von 5 bis 15 cm“, merkt Ansel an.

Der wichtigste Aspekt, der dabei im Blick zu behalten ist, ist der Schutz des Daches, damit die Dachabdichtung durch die Pflanzen keinen Schaden nimmt, was zu Dichtigkeits-problemen führen und den Nutzen der Gründächer zunichte machen könnte. „Was bei diesen Systemen gut funktioniert, ist dass sie die Natur auf natürliche und technische Weise imitieren. Hierbei ist nachdrücklich ein Mehrschichtaufbau zu empfehlen, der nicht erneuert werden muss und eine lange Lebensdauer aufweist (oft bis zu 30 oder 40 Jahren).“

Doch wie alle guten Dinge hat auch die Dachbegrünung ihren Preis. Manchem mögen die Kosten in Höhe von 25 bis 50 Euro zunächst hoch erscheinen, doch dabei ist zu bedenken, dass es sich um eine einmalige Investition handelt. „Ein optimales Preis-Leistungs-Verhältnis“, wie Ansel es nennt. Zu den Vorteilen der Dachbegrünung gehört es, dass das Wasser in der Erde gespeichert wird. Dadurch wird dem Problem von Wasserabflussspitzen entgegengewirkt, es werden Kühlungseffekte erzielt und eine große Biodiversität mit vielen Insekten, Pflanzen usw. gefördert.

Trotz aller Vorteile der Dachbegrünung stellt die Umsetzung in Städten mit altem Baubestand eine gewisse Herausforderung dar. Ein wichtiges Thema, das im Blick zu behalten ist, ist die Tragfähigkeit der Bestandsbauten sowie deren Ausstattung. Ein Vorbild sind die Niederlande – hier wurde Pionierarbeit in der Umsetzung von Gründächern im Altbaubereich geleistet. Auch Unternehmen sowie Städte und Gemeinden täten gut daran, Preisnachlässe und Anreize für die Realisierung von Gründächern anzubieten. „In Indien wird die Dachbegrünung die gleichen Funktionen erfüllen, doch was die Substrate und Pflanzen angeht, müssen wir nach ortstypischen Lösungen suchen“, erklärte Ansel.

Angesichts des katastrophalen potenziellen Ausmaßes des Klimawandels in den kommenden 20 Jahren steht jeder Bürger in der Verantwortung zu erkennen, dass die Art und Weise, in der wir bauen, für die Zukunft unserer Mutter Erde entscheidend sein kann. Es ist höchste Zeit, dass der Mensch Verantwortung für Klima, Wasser, Tiere und Insekten sowie Boden und Landschaft übernimmt.

Während Unternehmen wie die ZinCo GmbH in Nürtingen schon für sich ein gutes Vorbild abgeben, ist es notwendig, dass sich alle miteinander vernetzen, um eine Plattform für den Informationsaustausch zu schaffen. Der Neubau, in dem ZinCo mit über 100 Mitarbeitern untergebracht ist, ist schon für sich genommen ein Fallbeispiel dafür, wie man mehr Energie erzeugen als konsumieren kann. Als Pionier der Gründachtechnologie realisiert das Unternehmen Dachbegrünungen, bei denen die Dachabdichtung intakt bleibt. „Das neue Bürogebäude hat eine riesige Tiefgarage und eine vertikale Grünfläche. Es handelt sich um ein Niedrigenergiegebäude, bei dem die Wärmeversorgung über Computer gesteuert und zentral gespeichert wird. Mit vielen internationalen Projekten, etwa in Teheran, Algerien, Malaysia, Australien, den USA und Kanada, will ZinCo auf diese Weise etwas für den Menschen tun – etwas, das jedem einzelnen dazu verhilft, ein längeres Leben in einem saubereren Umfeld zu leben“, sagte Roland Appl, technischer Leiter von ZinCo.

Während sich die Welt auf die nächste große Gründach-Konferenz im Mai 2013 in Hamburg vorbereitet, bleibt es eine wichtige Aufgabe für jeden Bewohner unserer Erde, mit dem Klima und nicht gegen das Klima zu arbeiten.

Aditi Guha
veröffentlicht am 24. April 2012 in der Nürtinger Zeitung.