Nürtingen

Nürtingen, 16.4.2012: Facebook: Freund oder Feind?

 © © COLOURBOX.COMDas Netzwerk ist in Indien und Deutschland gleichermaßen beliebt – Expertin gibt Tipps für Jugendliche und Eltern.

Chatten, sich verabreden, versehentlich 7500 Gäste zum Geburtstag einladen oder sich Informationen über Vereinsaktivitäten besorgen – wer up to date sein will, kommt an Facebook kaum mehr vorbei. Das gilt für Deutschland genauso wie für Indien. Was ist gut an Facebook? Was ist schlecht? Wo gibt es Parallelen im Umgang? Ein deutsch-indischer Vergleich.

Lennart und Patrick sind 14 und 15 Jahre und damit gehören sie schon in die typische Altersgruppe der Facebook-Nutzer. Für sie ersetzt der Chat im sozialen Netzwerk das Telefon, mit dem sich noch ihre Eltern als Teenies stundenlang unterhalten haben. Hobbys, Musik, Schule, Mädels oder „das Klima zu Hause“ – eben alles, was den Jungs gerade wichtig ist, was nervt oder was sie lustig finden, wird „gepostet“. Und mit etlichen anderen Freunden geteilt. Lennart hat mittlerweile 250. „Ich kenne alle auch persönlich“, sagt er. Doch nicht mit allen teilt er alle Informationen. Auch verfängliche Bilder findet man auf Lennarts Profil nicht. Manche seiner Freunde sind da weniger zurückhaltend.

In Deutschland sind mehr als 23 Millionen Menschen bei Facebook angemeldet, was rund 28 Prozent der Bevölkerung entspricht. In der Facebook-Rangliste landet das Land der Dichter und Denker damit auf dem zehnten Platz der Nutzer dieses sozialen Netzwerks. Gegen Indien fällt Deutschland da schon ziemlich ab, denn der Subkontinent landet auf Rang zwei der weltweiten Facebook-Statistik. Die fast 46 Millionen Inder, die Mitglieder des Netzwerkes sind, machen jedoch nur rund vier Prozent der Bevölkerung aus. In Deutschland wie in Indien sind es die 18- bis 34-Jährigen, die Facebook am häufigsten nutzen, doch während sich hierzulande Männer und Frauen mit 52 zu 48 Prozent so ziemlich die Waage halten, sind es in Indien mit 73 Prozent überwiegend junge Männer, die von diesem Medium Gebrauch machen.

Facebook als Informationsportal

„Der Grundgedanke von Facebook ist ja die Vernetzung zwischen Personen. Und das funktioniert auch“, bestätigt Simone Haug vom Institut für Wissensmedien in Tübingen, was Patrick und Lennart eingangs erzählten. Zudem sei Facebook auch ein Informationsportal, in dem man von Veranstaltungen erfährt oder was es im eigenen Fußball-Verein Neues gibt. „Hier ergibt sich auch gleich ein Problem für Jugendliche, denn sind sie nicht bei Facebook angemeldet, sind sie vom Informations-Kreislauf ausgeschlossen“, sagt Haug. Will heißen: wer Mitglied eines bestimmten Kreises sein will, muss bei Facebook angemeldet sein. Viele Universitäten beispielsweise stellen ihre Informationen für Erstsemester nur noch bei Facebook ein. Studenten, die sich früher im Café zusammengesetzt und Texte analysiert haben, gründen virtuelle Lerngruppen. „Auch Lehrer machen gerade die Erfahrung, dass ihre Mitteilungen an Schüler schneller gelesen werden, wenn sie sie auf Facebook posten“, sagt Haug lachend. Und Facebook ist das Maß aller Dinge. Dieses Netzwerk gewinnt ständig an Boden, während die Konkurrenten eher rückläufige Nutzerzahlen aufweisen.

Auch in Indien ist Facebook wichtig, um mit Freunden in Kontakt zu bleiben. Und immer öfter verbreiten sich Nachrichten, wie kürzlich die des Erdbebens im Indischen Ozean, schneller über Facebook als über die herkömmlichen Nachrichten. Der 18-jährige Briyankar aus Kolkata gibt zu, regelrecht abhängig von Facebook zu sein. Bis zu drei Stunden täglich verbringt er im Netzwerk, am Wochenende eher noch länger. „Die Abhängigkeit ist ein großes Problem unserer Generation. Ich selbst wollte meine Facebook-Aktivitäten einschränken, bin aber gescheitert“, erzählt Briyankar. Ihn hält das Netzwerk vom Schlafen ab, beeinträchtigt sein Studium.

So weit ging es bei Amélie (26) aus Bempflingen zwar nicht, doch auch sie hatte Facebook anfangs eigentlich immer im Hintergrund laufen, wenn sie am Computer Hausarbeiten schrieb. Indes, der Drang, immer auf dem Laufenden sein zu müssen, ließ nach. „Heute bin ich vielleicht noch eine halbe Stunde am Tag auf Facebook“, schätzt sie.

Oft ist Jugendlichen nicht bewusst, dass Facebook ein riesiges Datenspeicherwerk ist. Die Nutzer haben keine Kontrolle darüber, was mit ihren Daten passiert. Die Daten werden ausgewertet, geben Auskunft über das Verhalten der „User“ im Netz. Was mit den gespeicherten Daten passiert, darüber gibt Facebook keine genaue Auskunft. „Wer die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook akzeptiert – und das muss man um sich anzumelden – gibt seine Rechte beispielsweise auf eingestellte Bilder ab“, warnt Simone Haug.

Ein gelöschtes Bild könne durchaus weiter im Netz herumgeistern. Einmal mit Freunden geteilt, habe derjenige, der es ursprünglich hochgeladen hat, keine Kontrolle mehr über das Bild, kann nicht mehr bestimmen, in welchem Kontext es gezeigt werde. „Man sollte sich also gut überlegen, welche Bilder man hochlädt“, mahnt Haug. Sie hat aber auch festgestellt, dass Jugendliche Datenschutz immer ernster nehmen. 80 Prozent stellen ihre „Privatsphäre“ so ein, dass nur Freunden Zugang zu ihrem Profil haben.

Mit geposteten Bildern hat Amélie auch ihre Erfahrungen gemacht. Anfangs lud sie viele Bilder von sich hoch. Auch um sich bei Jungs interessant zu machen. Als jedoch ihre Schwester anfing, sich um einen Arbeitsplatz zu bewerben und herausfand, dass potenzielle Arbeitgeber das Netzwerk ebenfalls auf Informationen über den Bewerber durchsuchten, wurden Amélie und ihre Schwester vorsichtiger.

Facebook als Datenspeicher, der beispielsweise auch gezielt kundenorientierte Werbung schickt – das wird in Deutschland eher kritisch gesehen, ist aber in Indien sehr populär. „Wenn eine bekannte Turnschuhmarke bekannt gibt, dass Schuhe im Ausverkauf angeboten werden, spricht das vor allem junge Leute an. Sie nutzen solche Informationen“, erzählt Suruchi, eine 24-jährige indische Journalistin. Sehr negativ sieht sie die religiös orientierten Hass-Seiten, die sich beispielsweise gegen den Islam richten. „Dies kann unter Umständen zu Tumulten auf der Straße führen“, sagt sie. Suruchi hält über Facebook überwiegend Kontakt zu Freunden, auch jenen, die sie noch aus der Schulzeit kennt. Mindestens 13 Jahre müssen Nutzer sein, um sich im größten sozialen Netzwerk anmelden zu können. Allerdings prüft Facebook das bei der Anmeldung angegebene Alter nicht nach. Was also tun, wenn auch unter 13-Jährige das Netzwerk unbedingt nutzen wollen? „Verbieten sollte man es den Kindern nicht. Sie machen es dann aus Frust heimlich“, sagt Haug und rät Eltern, mit ihrem Kind gemeinsam ein Profil anzulegen und ihm dabei zu erklären, welche Einstellungen im Profil wichtig sind. „Jugendliche und manchmal auch junge Erwachsene können noch nicht so genau einschätzen, was sensible Daten sind“, sagt Simone Haug.

Eine weitere Rolle, die das Netzwerk übernimmt: Es gibt den Jugendlichen die Möglichkeit, mit ihrer Identität zu spielen. „Man kann sich ein Profil geben, das vielleicht eher zeigt, wie man sein möchte, als dass es zeigt, wie man wirklich ist. Diesen Spielraum sollte man den Kindern jedoch auch geben. Selbstdarstellung ist für Jugendliche wichtig“, erklärt Haug. Das kann Amélie bestätigten. Sie machte vor einigen Jahren den Persönlichkeitstest auf Facebook. „Ich klickte mich jedoch so lange durch, bis Angelina Jolie herauskam“, sagt sie und lacht heute über sich selbst. Damals jedoch wollte sie, dass andere sie so sehen.

Spielen mit der eigenen Identität

Und das Spielen mit der Identität, mit dem Profil, ist natürlich auch in Indien ein Thema, wenn auch vielleicht in etwas abgewandelter Form. Wie viele Freunde man hat, zeigt, wie populär man ist. Sind Filmstars unter den Freunden? Welche Kleidung tragen die Freunde? All das trägt mit zum eigenen Status bei, wie Suruchi berichtet. Sie erzählt auch, dass Cybermobbing immer stärker um sich greife. Nutzer verschafften sich Zugang zum Facebook- Konto eines Schulkameraden oder Freundes, verbreiteten auf dessen Facebook-Seite unter dessen Namen Gerüchte über andere und brächten so gleich mehrere Leute durch gezieltes Streuen falscher Informationen gegeneinander auf und gegebenenfalls auch in Verruf.

Dass sich Eltern auf der Facebook-Seite ihrer Kinder als Freunde anmelden, hält die Expertin Simone Haug nicht für problematisch, wenn die Kinder es zulassen.

„Und auch Einstellungen für Freunde sind ja individuell veränderbar, sodass nicht jeder ,Freund‘ alles sehen kann. Sobald die Kinder denken, dass ihre Eltern sie auf Facebook kontrollieren wollen, werden sie Wege finden, etwas dagegen zu unternehmen“, ist sie sich sicher. In Indien dagegen begleiten Eltern die Facebook-Aktivitäten ihrer Kinder meist nicht. Wenn Jugendliche in den Schulen wegen ihrer Facebook- Einträge auffallen, werden Eltern allerdings zu einem Gespräch zum Rektor der Schule gebeten, an dem auch Polizei und Jugendamt teilnehmen. Besorgt sind Eltern jedoch viel eher, wenn durch die Netz-Aktivitäten der Kinder der Familienname einen schlechten Ruf bekommt.

Deutschland und Indien – der Vergleich hat also ergeben, dass es gar nicht so viele Unterschiede gibt, was die Facebook-Aktivitäten junger Menschen angeht. Und dass die Bedürfnisse junger Menschen, sich mitzuteilen und darzustellen, ähnlich ausgeprägt sind. Ein weiterer Schritt in eine Welt, die immer näher zusammenrückt?

Aditi Guha und Sylvia Gierlichs
veröffentlicht am 16. April 2012 in der Nürtinger Zeitung.