Nürtingen

Nürtingen, 11.4.2012: Der Markt mit Herz

 © Jürgen Gerrmann „Vergiss mein nicht“ scheint er sagen zu wollen: Ein Platz wie aus dem Bilderbuch mit allem Drum und Dran, ein Treffpunkt für die Menschen der Stadt – vom Wochenmarkt in Nürtingen wäre einfach jeder Besucher begeistert! Man könnte ihn auch als den „Markt mit Herz“ bezeichnen.

Der Wochenmarkt, der jeden Donnerstag und Samstag zwischen 7 und 13 Uhr aufgebaut wird, ist für jemanden, der aus einem anderen Teil der Welt kommt, etwas ganz Besonderes. In Indien ist man mit den Märkten in den Stadtteilen und Vierteln vertraut, die jeden Tag von fünf bis zwölf und dann wieder von vier bis abends um zehn Uhr geöffnet haben – jeden Tag der Woche. Und wer nun gerade mittags um zwei unbedingt eine Tüte Zucker braucht, geht einfach zum Händler und überredet ihn, dass er sie einem durch die geschlossenen Läden nach draußen reicht.

Doch mit seinem vielseitigen Warenangebot, das in einem gesunden, sauberen und farbenfrohen Umfeld angeboten wird, ist der Nürtinger Wochenmarkt etwas ganz anderes, strahlt Wärme und Behaglichkeit aus. Mit schönen Töpfen voller farbenfroher Blumen auf der Erde und den hohen Theken der Verkaufswagen vermittelt der Markt eine Lebensfreude, die sich auf alle überträgt, die hier ihre Wochenbesorgungen erledigen.

Ein Blick in die Runde zeigt lächelnde Menschen beim Einkauf im Gespräch mit ebenso freundlichen Verkäufern. Bekannte grüßen einander und wechseln ein paar freundliche Worte, während sie aus dem reichen Angebot an Vergissmeinnicht, Rosen, Tulpen, Narzissen und Anemonen auswählen. – Eine Studentin, die auf dem Wochenmarkt als Blumenverkäuferin arbeitet, sagt: „Mit dem Geschäft heute bin ich zufrieden, aber wenn das Wetter etwas wärmer gewesen wäre und die Sonne geschienen hätte, hätte man mehr Leute erwarten können.“ Für die Menschen, die in diesem Teil der Welt leben, ist es tatsächlich so, dass das Wetter im alltäglichen Leben eine wichtige Rolle spielt!

Viele der Blumen, die hier verkauft werden, stammen aus heimischem Anbau, andere hingegen, wie zum Beispiel die Tulpen, werden aus den Niederlanden angeliefert. Viele der Marktbesucher sind Hobbygärtner, die sich an den roten, weißen und gelben Blüten in ihren Wohnungen, auf ihren Balkons und in ihren Gärten freuen. Ein Besuch des Blumenmarktes im ostindischen Kolkata wäre für diese Blumenfreunde ein unvergessliches Erlebnis, da er als einer der größten Blumengroßhandelsmärkte Asiens gilt, auf dem Hunderte verschiedener Sorten angeboten werden. Und das jeden Morgen ab 5 Uhr, das ganze Jahr über!

Geht man nun aber weiter über den Nürtinger Wochenmarkt, trifft man vielleicht die freundliche Nachbarin, die mit ihrem Hund an der Leine zu einem der Gemüsestände geht. Auch hier wird man von einem bunten Farbenmeer begrüßt und kann zwischen den langen, großen Tomaten aus Italien oder den kleineren aus heimischem Anbau wählen. „Aber diese sind teurer“, sagt eine Käuferin, die erklärt, dass das am kalten Wetter liegt. Dann gibt es noch süße Cocktailtomaten und gleich daneben Erbsen aus Sizilien, Paprika, Spinat, Broccoli, Möhren, Blumenkohl, Kohl und ein Korb Kiwis. Salat ist ein Muss für die Menschen hier! Für jemanden, der aus der Großstadt Kolkata kommt, ist es etwas Besonderes, an den Verkaufswagen entlang zu schlendern, da Gemüsemärkte – in Indien und vor allem auch in Kolkata – an jeder Ecke zu finden sind und oft auch gleich die Bürgersteige für sich einnehmen. Sie sind jeden Morgen und jeden Abend da und ganz ohne Frage preiswert und praktisch, wäre da nicht der ganze Unrat drum herum!

Wegen des gemäßigten Klimas in Indien wird viel saisonales Gemüse angeboten. Und hier punktet Kolkata, denn in dieser Stadt leben Menschen unterschiedlicher Kulturen und Länder mit ganz verschiedenen Essgewohnheiten. Hier fühlen sich überzeugte Vegetarier (oft auch Veganer) ebenso wohl wie bengalische Fischliebhaber! – Doch wenn man hier am Neckar über den Markt geht, ist die Luft erfüllt vom Duft frisch gebackener Croissants, Brote und süßer Teilchen. An den Ständen werden das leckerste Gebäck, Brot zum Kilopreis und verschiedenste Käsesorten und Butter verkauft.

Der Nürtinger Wochenmarkt ist ein Ort zum Genießen

Zwischendrin stehen Paletten mit bunten, ovalen Gegenständen – rot, blau, grün, in jeder nur vorstellbaren Farbe sind sie ausgestellt. Bevor man sich die Frage stellen kann, was das sein könnte, bekommt man schon eines angeboten: Es ist ein gefärbtes Ei! Ostern steht vor der Tür, und hierdurch wird die Festtagsstimmung noch verstärkt. „Die Eier werden in gefärbtem Wasser gekocht, daher die verschiedenen Farben“, erklärt ein Verkäufer. Wer nun glaubt, Ostereier seien typisch für den Westen, soll sich nicht vertun. Denn Kolkata hat seine eigenen Osterspezialitäten anzubieten – auch Ostereier und Schokolade. Schließlich steckt in Kolkata ein Stück der ganzen Welt!

Besuchern von auswärts wird in Nürtingen nicht lange verborgen bleiben, dass der Markt auch ein Ort zum Genießen ist, auf dem man Freunde und Angehörige trifft. Rotwangige Kleinkinder im Kinderwagen, Teenager, die schnurstracks auf den Elektronikmarkt zusteuern, Großeltern mit Enkelkindern im Schlepptau und einem Korb in der Hand, blaue, schwarze und weiße Jacken und Schals – all das macht die Atmosphäre des Marktes aus. Ließe man der Fantasie freien Raum, könnte man sich ohne Weiteres vorstellen, dass Rotkäppchen an einem der Stände ihr Stück Käse kauft!

Gewürze, Süßigkeiten und andere Dinge des täglichen Bedarfs gibt es in den umliegenden Geschäften – der Buchladen, Läden mit Designer-Brillen, Sonnenbrillen und Kleidung, Handyshops und ein Café, in dem bildhübsche Mädchen Kaffee oder Wein servieren. Der Buchladen am Rande des Marktes bietet alles von Zeitschriften über Romane bis hin zu Sachbüchern. Es gibt sogar eine Abteilung mit englischen Büchern, wer also gerne liest, muss einfach nur alle zwei Tage diesen Laden besuchen. Außerdem bekommt man hier buntes Briefpapier, DVDs und Geschenkartikel, vor der Tür stehen Drehständer mit bunten, schwarzen und weißen Karten für alle Anlässe, lokalen Tageszeitungen und Bilderbüchern.

Für diejenigen, die bereits beginnen, den Wochenmarkt zu vermissen, wenn die Verkäufer ihre Ware einpacken und die Läden schließen, bevor sie dann mit den Verkaufswagen fortfahren, gibt es eine Lösung: Man kaufe sich im Buchladen eine Zeitschrift, setze sich mit einem Glas Rotwein ins Café und beobachte das Abebben des geschäftigen Treibens, während der Schillerplatz sich wieder in einen beschaulichen Ort verwandelt und die Ladenfronten ein neues Stadtbild zeichnen.

Aditi Guha
veröffentlicht am 17. April 2012 in der Nürtinger Zeitung.