New Delhi, 7.12.2011: Wie man sich sein Karma versaut

Man weiß nicht, wer von uns die sanftere Engelszunge hat. Der leicht untersetzte Yogi mit dem roten Turban, der mich unvermittelt an der Ecke Sansad Marg/ Tolstoy Marg anspricht, oder ich beim freundlichen Versuch ihm verständlich zu machen, dass ich Atheist bin und nicht die Absicht habe, in den nächsten zehn Minuten mein Weltbild zu ändern. "Do you believe in God, Sir?", will er wissen. Unter seinem schwarzen Hemd zeichnet sich eine gar nicht so kleine Plauze ab. "No. I really have to go now. Sorry!" Ich starre erwartungsvoll auf die einzige Fußgängerampel, weit und breit. Sie bleibt rot. "Oh, that's no problem!", jauchzt der Yogi. Irgendwie habe ich diese Antwort schon geahnt.
Er kramt ein altes Schwarzweiß Foto aus seinem abgewetzten Notizbuch. Es zeigt ein Gruppe von etwa 30 bis auf einen Lendenschurz und Blumenkränze unbekleidete Männer, deren weiße Rauschebärte bis zur Brust reichen. Sein Finger ruht auf einem der Gesichter in der Mitte. Das sei sein Lehrer gewesen, ein echter Heiliger, sagt er. Ein breites Lächeln zeichnet sich unter seinem Vollbart ab. Ich hätte ein gutes Karma, behauptet der Yogi. Es gebe eine Menge, worüber er mit mir reden möchte. Die Ampel zeigt immer noch rot. Hätte ich doch nur nochmal auf den Stadtplan geguckt, dann wäre ich jetzt schon bei den Kollegen von der Hindustan Times.
Indien ist ein Muss für europäische Esoteriker. Ich bin keiner. Und auch Delhi wird mich zu keinem machen, selbst wenn die Stadt einem genügen Anlässe bietet. Eine Fahrt vom Red Fort zur Old Iron Bridge mit dem Tuk-Tuk, den berühmten Motorrikschas, ist zum Beispiel eine gute Gelegenheit, um seine Spiritualität wieder zu entdecken. Der Weg ans Ufer des Yamuna-Rive ist ein Abenteuer für sich. Zwei Tage vor dem Zusammentreffen mit dem Yogi habe ich es ausprobiert - ein Pressetermin. Links ein Laster, Rechts ein Laster, vorne eine von Schlaglöchern übersäte Straße, hinter uns ein ungeduldig hupender Bentley. Am Steuer ein Fahrer, der jede Lücke zu nutzen versucht und offensichtlich auf neue Stoßdämpfer spart. Laut indischer Mythologie beseitigt ein Bad im Yamuna die Angst vor dem Tod. Nach fünf Minuten Fahrt würde ich das nur allzu gern ausprobieren.
Irgendwann hat mein Yogi mich soweit. Ich strecke meine rechte Hand aus. "Oh you are a very honest man", sagt er im schönsten indischen Sing-sang. Über 90 Jahre alt würde ich werden. Warum nur bin ich ins Stadtzentrum gefahren? Warum nur an den Connaught Place, diese historisierende Bausünde der britischen Kolonialherren. Alles um einen gewaltigen Verkehrskreisel angeordnet, in dessen Mitte ein hübscher Park Besucher anzieht.
Ob ich ihm nun glaube, dass er ein guter Yogi sei, will mein Begleiter wissen, nachdem er den Namen meiner Freundin sowie mein Alter "gesehen" und auf ein Zettelchen geschrieben hat. Fünf Minuten vorher hatte ich ihm beides verraten. "No!", sage ich. Er lächelt, ich nicht. Ich würde meine Ziele erreichen. Nur leider denke ich zu viel nach. Schuld sei eine Frau, die mir irgendwann mal das Herz gebrochen habe. Er könne mein Karma reinigen, behauptet der lächelnde Turbanträger. Ich solle nur etwas "Opfergeld" in sein schwarzes Notizbuch legen. Ich greife nach einem 100 Rupienschein (1,50 Euro) in der Hoffnung ihn dann endlich loszuwerden. "Big one, big one", sagt er und zeigt auf einen Tausender.
Immer lächeln
Nur in der Nähe des Connaught Place bin ich bislang derart bedrängt worden. Zwei Tage zuvor hatte mich der Rikschafahrer tatsächlich an der alten Eisenbahnbrücke abgesetzt, direkt in einem Slum am Ufer des Yamuna. Es war früher Abend. Die Menschen in ihren notdürftig mit Reissäcken abgedeckten Unterständen schauten erst überrascht, dann lächelten sie und gingen weiter ihrer Beschäftigung nach: den Weg fegen, essen Kochen. Ein älterer Mann bot mir seinen Teller mit Reis und spärlichem Gemüse an. Ich lächelte, sagte Danke und ging weiter.
Auch mein Yogi lächelt die ganze Zeit, selbst als ich ihn mit den schlimmsten Kraftausdrücken, die mir auf Englisch einfallen, eindecke. "Your a good man, a wise man. Two children. Very lucky", brabbelt er mir hinterher. Ich versuche es mit deutschen Beleidigungen. Ohne Erfolg. Für nur 50 Euro werde er 21 Tage lang für mich beten. Schließlich lasse ich auf Serbokroatisch einen Fluch vom Stapel, für den mich meine Mutter noch heute unter Hausarrest stellen würde. Plötzlich bleibt der Yogi stehen. Serbokroatisch klingt wohl, wie irgendeine der 1600 Sprachen Indiens...oder vielleicht auch einfach nur grob und bedrohlich. "Luck", sagt er, "sometimes goes up, sometimes goes down." Dann verschwindet er um die Ecke.
veröffentlicht am 7. Dezember 2011 in der Frankfurter Rundschau.