New Delhi

New Delhi, 8.11.2011: Nahaufnahme aus der Megacity Delhi

 © Eine weite Reise: Danijel Majic bereitet sich auf Indien vor © Foto: Christoph BoeckhelerFR-Volontär tauscht mit einem Journalisten der Hindustan Times für vier Wochen den Arbeitsplatz.

Der Koffer für Indien ist gepackt. Wäsche für zwei Wochen im Vertrauen darauf, dass das Goethe-Institut in Delhi eine Waschmaschine bereithält. Einen Monat soll ich in der indischen Hauptstadt verbringen. Das Austauschprogramm „Nahaufnahme“ des Goethe-Instituts sowie die Gastfreundlichkeit der Kollegen von der Hindustan Times machen es möglich: Vier Wochen verbringe ich im Zentrum der größten Demokratie der Welt mit dem Auftrag, aus dieser Megametropole zu berichten.

Die Ankündigung kam irgendwann Anfang September im Anschluss an ein Gespräch, das sich um ein ganz anderes Thema gedreht hatte. „Ach übrigens, wir haben uns gedacht, dass du an diesem Austauschprogramm mit Indien teilnehmen könntest“, ließ mich mein Ressortleiter nebenbei wissen. Unaufgeregt, als hätte er „P.S. Grüße an die Eltern“ unter einen Brief geschrieben.

Seit diesem Gespräch ist kaum ein Tag vergangen, an dem meine Gedanken nicht um Delhi kreisten. Elf Millionen Menschen sollen sich allein im engeren Stadtgebiet drängen. Meine Eltern sind aus Kroatien eingewandert, einem Land, das nicht einmal halb so viele Einwohner hat. Im Vergleich dazu ist Indien kein Land, sondern ein eigener Planet mit Delhi als Zentrum. Also heißt es, Reisevorbereitungen treffen, Sommerklamotten für den indischen Herbst zulegen, Visum beantragen. Sich einbilden, auf alles vorbereitet zu sein.

Im Gespräch mit den Mitarbeitern des indischen Generalkonsulats in Frankfurt stelle ich plötzlich fest, dass mein Englisch doch nicht so gut ist, wie ich es mir seit dem Abitur eingebildet hatte. Und immer wieder lese ich nach, unternehme einen Versuch, mich dieser Stadt anzunähern. Zahlen tanzen in meinem Kopf: Mehr als 3000 Jahre Geschichte, vier offizielle Sprachen. Zur eigentlichen Stadtbevölkerung kommen noch einmal fünf Millionen Menschen im Großraum Delhi hinzu. Davon lesen 1,4 Millionen die Hindustan Times, die Zeitung, die für die nächsten vier Wochen meine journalistische Heimat sein wird. Zahlen, Zahlen, Zahlen! Sie sagen gar nichts. Sie machen nur Angst.

Ich weiß nichts von Delhi. Und was ich zu wissen gedacht habe, ist angesichts der schieren Größe der Stadt nichtweiter erwähnenswert. „Ja, was verbindet dich denn eigentlich mit Indien?“, hat unlängst ein Freund gefragt. Außer einer Vorliebe für indische Restaurants ist mir nichts eingefallen – bis auf eine Sache.

Vor ein paar Jahren habe ich tatsächlich schon einmal Indien besucht – allerdings nur im Traum. Ich schipperte in einem türkisfarbenen Motorboot einen gewaltigen Strom entlang. Links und rechts ragten Monumente, Tempel, Triumphbögen, Stelen aus den Fluten. Wir seien jetzt „in der Stadt“, erklärte mir im Traum der freundliche Inder, der das Boot lenkte. Einen Namen sollte „die Stadt“ nie erhalten. Er wäre mir auch gleichgültig gewesen. Viel entscheidender war das Gefühl, auf etwas Altes, unsagbar Wertvolles und Erhabenes zu blicken.

Und mit einer Ahnung von diesem Gefühl trete ich nun meine Reise an.

Danijel Majic
veröffentlicht am 8. November 2011 in der Frankfurter Rundschau.