Leipzig

Leipzig, 11.10.2011: Die Perlen von Leipzig

 © Sonnenuntergang am Cospudener See © Foto: André KempnerWas einst als Schandfleck von Leipzig galt, ist heute der Stolz der Stadt. Ausgedehnte Braunkohlereviere, die das Ökosystem durch den bis 1995 betriebenen Tagebau größtenteils zerstörten, werden heute als die Perlen von Leipzig bezeichnet, mit wunderschönen, künstlich angelegten Gewässern, die dem Leipziger Umland neuen Glanz verleihen. Das Neuseenland erfreut sich großer Beliebtheit als Wasserfreizeitparadies.

Ich hatte Gelegenheit, einen dieser Seen, den nur fünf Kilometer von der Stadt entfernten Cospudener See, mit Freunden an einem Sonntagabend zu besuchen. Dieser See ist von einem breiten Grüngürtel umgeben, das Wasser ist kristallklar und es gibt einen Sandstrand. Um den See führt ein fast zehn Kilometer langer asphaltierter Rundweg. Promenaden mit Restaurants, Biergärten, Bars, Cafés, Hotels, Läden und zahlreichen Booten stehen den Besuchern für einen vergnüglichen Tag am See zur Verfügung.

Vor den Toren Leipzigs gibt es, wie man mir sagte, 18 solcher künstlich angelegter Tagebauseen. Von Touristen, die die Schönheit der Natur genießen wollen, werden sie in Scharen aufgesucht. Jeder dieser Seen hat eine ganz eigene Charakteristik entwickelt; so präsentiert sich etwa der Kulkwitzer See als vielfältiges Paradies mit schicken Ferienresorts, der Markkleeberger See ist für seine Wildwasserstrecke berühmt, der Hainer See für seine Seegrundstücke und der Cospudener See für seine Promenaden.

Diese Seen haben sich zu einem der beliebtesten Ausflugsziele für Wassersportler und Abenteuertouristen entwickelt. Aber das ist nicht alles. Die Stadtverwaltung arbeitet an einem Projekt, um all diese künstlichen und natürlichen Seen über Kanäle miteinander zu verbinden, so dass Touristen weit aus der Stadt hinaus ins Grüne paddeln können.

Wie man mir erzählte, gab es in Leipzig riesige Braunkohlevorkommen, die als Hauptenergiequelle für Fabriken und Kraftwerke in der Region dienten. Braunkohle wurde jahrzehntelang gefördert; zu Zeiten der DDR erfolgte der Abbau im großen Stil und ohne Rücksicht auf Folgen. Es gab keine Gesetze, um die durch den Tagebau verursachten Umweltschäden einzudämmen, was eine starke Luftverschmutzung zur Folge hatte. Dies war sogar so extrem, dass Besucher sich nur höchst ungern in Leipzig aufhielten. Kurz nach der Wende 1989 beschloss man, die meisten dieser Tagebaue stillzulegen (einige sind immer noch in Betrieb, unterliegen jedoch strengen Auflagen). Im Rahmen eines Programms zur Stadterneuerung wurden die stillgelegten Tagebaue in attraktive Seen verwandelt.

Die Leipziger haben, wie man mir sagte, für die Regenerierung der Natur große Opfer gebracht: Fast 90 Prozent der Beschäftigten im Tagebau verloren nach der Stilllegung ihre Arbeit, was eine massenhafte Abwanderung zur Folge hatte. Am Cospudener See erinnert ein Aussichtsturm mit seiner konischen Form an die Schlote und Kühltürme der ehemaligen Tagebaue.

Während eines atemberaubenden Sonnenuntergangs am Cospudener See musste ich einfach an die berüchtigten Eisenerzgruben in Karnataka denken (der indische Bundesstaat, aus dessen Hauptstadt Bangalore ich komme). Ich bin viel durch den indischen Distrikt Bellary mit seinen umfangreichen Eisenerzvorkommen gereist und habe mit eigenen Augen gesehen, welche Zerstörungen die Eisenerzgruben dort in Bezug auf das Ökosystem angerichtet haben. Nicht nur Luft und Wasser wurden verschmutzt, die raffgierigen Minenbesitzer haben außerdem riesige Flächen Wald abholzen lassen. In Bellary gibt es fast 150 Gruben und fast ebenso viele stillgelegte. Der Umweltausschuss des Obersten Gerichts Indiens hat zwar dem rücksichtslosen Raubbau vor nicht allzu langer Zeit einen Riegel vorgeschoben, doch bis heute wurden von der regionalen Verwaltung keine konkreten Maßnahmen für eine Renaturierung ergriffen.

Was sich vor fast zwei Jahrzehnten in Leipzig ereignet hat, ist heute in unserem Distrikt Bellary zu beobachten. Ich hoffe, dass es Bellary wie Leipzig gelingen wird, die Folgen des Bergbaus zu beseitigen und das lebenswichtige Ökosystem wiederherzustellen. Das Projekt Cospudener See ist meiner Meinung nach ein Musterbeispiel der gelungenen Umsetzung eines umweltfreundlichen und ästhetischen Konzepts zur Wiederbelebung einer Tagebaufolgelandschaft.

P M Raghunandan
veröffentlicht am 11. Oktober 2011 in der Leipziger Volkszeitung.
Übersetzt von Angela Selter.