Leipzig, 6.10.2011: Ein stolzer Leipziger

Wir treffen uns in einem Café in der Innenstadt, und Sankaran erzählt mir seine Geschichte. 1990 – kurz nach der Wiedervereinigung – hatte er wesentlichen Anteil am Aufbau des ersten Siemens- Werkes für Telekommunikationstechnik. Siemens gehörte damals zu den ersten Großkonzernen Westdeutschlands, die sich in der ostdeutschenStadt Leipzig niederließen. Sankaran leitete das Unternehmen mit fast 1000 Mitarbeitern (größtenteils Ortsansässige) und gehörte außerdem zu einer Gruppe von Persönlichkeiten, die von der damaligen Stadtverwaltung beauftragt wurden, eine Vision für die Stadt Leipzig zu formulieren.
Sankaran wurde 1942 im indischen Bundesstaat Tamil Nadu geboren. Nach seinem Ingenieurstudium war er wie jeder andere ehrgeizige junge Inder auf der Suche nach besseren beruflichen Perspektiven. Zunächst arbeitete er drei Jahre als Ingenieur bei der Heavy Engineering Corporation in Ranchi. In dieser Zeit konnte er bei einem Nachbarn, der als Übersetzer arbeitete, ein paar Brocken Deutsch lernen. Er entwickelte ein Faible für die Sprache und besuchte einen Deutschkurs am Goethe-Institut Kalkutta (jetzt Kolkata).
1965 wurde ihm in der kleinen Stadt Varel (bei Bremen) eine Stelle bei einem deutschen Flugzeughersteller angeboten, und er ergriff die Gelegenheit beim Schopf. Gleichzeitig erwarb er an der Universität von Hannover den Abschluss als Diplomingenieur, wo er auch promovierte. 1971 heiratete er seine Frau Annegret, eine deutsche Lehrerin. 1985 kam er zu Siemens, wo er für die internationale Produktion des Unternehmens verantwortlich war. Den größten Teil seines beruflichen Lebens verbrachte er in München.
1990, nach dem Fall der Berliner Mauer und der Wiedervereinigung von West und Ost, beschloss das Unternehmen, eine Niederlassung in Leipzig zu errichten. Mit dieser Aufgabe wurde Sankaran betraut. Es gelang ihm, ein Joint Venture von Siemens mit dem ortsansässigen Unternehmen NEL für den Aufbau eines Produktionswerks für Telefontechnik auszuhandeln. Er war der erste Geschäftsführer von Siemens Communications in Leipzig. Während seines einjährigen Einsatzes zum Werksaufbau verliebte er sich in die Stadt Leipzig. Danach musste er jedoch in die Münchner Zentrale zurück.
Als die Leipziger Niederlassung schwächelte, wurde er 1998 erneut dorthin entsandt, um das Unternehmen wieder in die Erfolgsspur zu bringen. Dies gelang, und er blieb in Leipzig, bis er 2003 von Siemens in die USA berufen wurde. Er blieb drei Jahre in den Vereinigten Staaten, zog sich 2008 aus dem Berufsleben zurück und kehrte in seine Stadt Leipzig zurück. „Mich faszinieren die Kultur und die Menschen in Leipzig. Ich lebe unwahrscheinlich gerne hier. Wenn ich Menschen kennenlerne, werde ich immer gefragt, woher ich komme, und ich antworte dann, dass ich aus Leipzig komme”, erklärte mir Sankaran in unserem Gespräch.
Auch im öffentlichen Leben Leipzigs nahm er Aufgaben wahr, besonders als ehemaliger Vorsitzender des Aufsichtsrates der Universitätsklinik, außerdem übte er Lehraufträge an der Tongji University Shanghai und in Leipzig aus. Der freundliche, gradlinige Sechziger hat den Wandel der Stadt Leipzig aus nächster Nähe miterlebt – von einer baufälligen Stadt zum charmanten Touristenziel mit Niveau. „Als ich im Jahr 1990 zum ersten Mal nach Leipzig kam, ging es für mich nur darum, meine Pflicht zu tun. Die Luft war verschmutzt und die ganze Stadt erschien unsauber. Heute hat sich alles verändert. Leipzig ist inzwischen ein höchst gefragter Standort“, ergänzte er.
veröffentlicht am 6. Oktober 2011 in der Leipziger Volkszeitung.
Übersetzt von Angela Selter.