Leipzig

Leipzig, 1.10.2011: Ein Raum für „grüne“ Träume

 © Reporter Raghunandan in einem Leipziger Schrebergarten © Foto: Leipziger VolkszeitungJeder Städter träumt von einem Eigenheim mit einem kleinen Garten, in dem man etwas Grünes anpflanzen und der Natur so etwas näher kommen kann. Für viele Menschen bleibt dieser kleine Traum unerfüllt, da sie gezwungen sind, ihr Leben in Betonburgen zu verbringen. In dieser Hinsicht sind die Leipziger zu beneiden, da die meisten Hochhausbewohner der Stadt in der Nähe ihrer Wohnungen kleine Gärten besitzen, die im Volksmund als Schrebergärten bezeichnet werden.

Als mein Leipziger Freund Dr. Konrad Kretschmar erstmals von Schrebergärten als mitten in der Stadt angelegten privaten Gärten erzählte, stellte ich mir eher so etwas wie öffentliche Parks vor (in Bangalore liegt der Unterhalt einiger öffentlicher Gärten in Händen der Stadtverwaltung. Nur in einigen Ausnahmefällen können sich die Eigentümer größerer Häuser den Luxus eines privaten Gartens leisten). Dr. Konrad nahm mich zu einem solchen schönen Gemeinschaftsgarten im Südwesten Leipzigs mit, dem „Kleingartenverein an der Dammstraße“, und ich konnte kaum glauben, dass so etwas in einer großen Stadt möglich ist.

Schrebergärten sind eine Reihe kleiner Gärten (je rund 200 bis 300 m2), die von Einzelpersonen oder Familien ganz nach ihrem Geschmack gehegt und gepflegt werden. Die meisten Leute mieten oder pachten diese Gärten von den Besitzern. Familien mit durchschnittlichem Einkommen können sich die Miete in der Regel leisten. Neben Anbauflächen für Blumen, Gemüse und Obst gibt es in all diesen Gärten eine kleine Laube, in der eine Familie übernachten kann. Viele verbringen das Wochenende ganz naturnah in ihren Gärten. Ich sah Menschen bei der Ernte von Obst und Gemüse, während ihre Kinder in den Gärten spielten.

Das Konzept der Schrebergärten geht, wie ich erfuhr, auf die 1860er Jahre zurück, als eine Gruppe Gleichgesinnter in Leipzig einen Bildungsverein gründete, um Kinder zum Spielen im Freien anzuregen. Damals war diese geschichtsträchtige Stadt eine der größten in Deutschland und die Kinder hatten im Freien fast keinen Raum zum Spielen. Später wurde der Verein nach einem Arzt benannt, Dr. Daniel Moritz Schreber (1808-1861), der sich dafür eingesetzt hatte, in der Stadt Grünflächen für die Kinder der Armen zu schaffen. Der Verein legte am Rande von Spielplätzen kleine Beete an, die später als Schrebergärten bezeichnet wurden.

Das Konzept wurde mit den Jahren so beliebt, dass sich daraus die sogenannte Schrebergartenbewegung entwickelte, vor allem in der Arbeiterklasse, die sich in ganz Deutschland und darüber hinaus verbreitete. Heute gibt es in Deutschland schätzungsweise eine Million Schrebergärten und natürlich ist die Anzahl pro Kopf der Bevölkerung in Leipzig am größten.

In Leipzig gibt es ein Schrebergartenmuseum – das erste und einzige Museum seiner Art weltweit. Es befindet sich im ehemaligen Vereinshaus der Kleingärtner, das 1896 erbaut wurde, und die Dauerausstellung vermittelt Einblicke in die Entwicklung der deutschen Kleingartenbewegung von ihren Anfängen. Unter den Exponaten befinden sich Originaldokumente, Vereinsfahnen, Fotos und historische Gartengeräte. Eine Ausstellung im Freien zeigt einen im Stil des späten 19. Jahrhunderts angelegten Museumsgarten mit einer Original-Gartenlaube aus dem Jahr 1880. Gezeigt wird außerdem eine Ausstellung historischer Gartenlauben aus den Jahren 1890-1930.

Meine Heimatstadt Bangalore trägt in Indien auch den Beinamen „Garden City“. Doch außer den berühmten Botanischen Gärten Lal Bagh und dem Cubbon-Park gibt es praktisch keine Grünflächen mehr. Ich hoffe, dass man sich an Leipzig ein Beispiel nehmen und dafür sorgen wird, dass sich das Blatt in Bangalore wieder wendet.

P M Raghunandan
veröffentlicht am 1. Oktober 2011 in der Leipziger Volkszeitung.
Übersetzt von Angela Selter.