Leipzig

Leipzig, 29.9.2011: Ort des Friedens, Ort des Schreckens

 © Nikolaikirche in Leipzig © Foto: Leipziger VolkszeitungZwei Denkmäler und ihre Geschichte.

Als Geschichtsstudent hatte ich über die Leipziger Nikolaikirche gelesen, die eine wichtige Rolle spielte, als das gefürchtete DDR-Regime durch eine friedliche Revolution gestürzt wurde, die zur Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland führte. Mein Besuch in Leipzig bot mir nun die Gelegenheit, die berühmte Kirche zu besichtigen, die nicht nur in Deutschland, sondern weltweit zu einem Symbol des Friedens geworden ist.

Als ich vor dem Baudenkmal aus dem 12. Jahrhundert stand, versuchte ich mir vorzustellen, wie sich hier am 9. Oktober 1989 70000 Menschen, darunter Frauen und Kinder, im Protest gegen 40 Jahre kommunistische Herrschaft versammelten, obwohl die Furcht vor Repressalien groß gewesen sein muss. Ich fragte mich, was sie dazu bewogen hat, diese Risiken einzugehen und wie bedrohlich und unmenschlich das DDR-Regime war.

Meine Neugier führte mich zu der "Runden Ecke", wo sich ein Museum über die Stasi – den Staatssicherheitsdienst – befindet, den Geheimdienst der damaligen DDR. Die "Runde Ecke" war früher der Sitz der Bezirksverwaltung der Stasi. Der Gang durch das Museum verdeutlichte in bedrückender Weise das unheilvolle Netz, durch das die Stasi Bürger ausspionierte, in ihr Leben eindrang und ihnen dadurch ihre Grundfreiheiten raubte. Die ausgestellten Objekte zeigten das tägliche Leben eines Stasioffiziers, wie die Geheimpolizei Schulkinder anwarb, die Fälschungs- und Maskierungswerkstätten für die Spionage, Hinrichtungen in Leipzig und viele weitere ominöse Machenschaften. Unter den Exponaten befanden sich diverse Hilfsmittel zur Überwachung der Bürger, darunter gefälschte Stempel, winzige Kameras, hochentwickelte Abhöranlagen, Tarnungshilfen wie künstliche Nasen, Perücken, Brillen, ein wattierter künstlicher Bauch mit einem Loch in der Mitte für eine versteckte Kamera, Gläser mit konservierten Körpergerüchen potentieller Verdächtiger, die man dadurch gewonnen hatte, dass diese in die Zentrale der Stasi geladen wurden, wo sie 10 oder 15 Minuten lang auf einem Tuch sitzen mussten, das dann in verschlossenen Gläsern aufbewahrt wurde. So konnte man Verdächtige, die man aus den Augen verloren hatte, später durch Hunde wieder aufspüren lassen.

Ich erfuhr, dass die Stasi Mitarbeiter bei der Post hatte, die Briefe öffneten und lasen; sie brach regelmäßig in Wohnungen ein und verwanzte sie; es gab ein Netz „sicherer Häuser“, aus denen private Wohnungen überwacht wurden. Man fotografierte Bürger, wie sie ihren Geschäften nachgingen, und bestrafte Unmutsäußerungen über das DDR-Regime.

Etwas enttäuscht war ich darüber, dass alle Informationen zu den Ausstellungsstücken in deutscher Sprache waren. Ich musste mir eine englische Broschüre über das Museum kaufen, um sie zu verstehen. Zu den Exponaten gehörte auch eine Vielzahl amtlicher Schreiben. Bei einigen handelt es sich um gefälschte Briefe, die die Stasi verschickte, um Keile zwischen einzelne Personen zu treiben oder Verwirrung zu stiften. Für Touristen wie mich wäre es sehr hilfreich, wenn diese Dokumente in übersetzter Form vorlägen. So könnte über diesen wichtigen Teil der Geschichte ein tieferes Verständnis vermittelt werden. Dennoch wurde meine Neugier im Museum hinreichend gestillt.

Die Reise durch die Geschichte war nicht nur informativ, sondern schon für sich eine spannende Erfahrung. Der Widerspruch war nicht zu übersehen. Zwei wichtige Baudenkmäler dieser historischen Stadt – Nikolaikirche und Stasi-Museum. Während das eine Frieden und Solidarität symbolisiert, steht das andere als Mahnmal des Schreckens und der Teilung.

P M Raghunandan
veröffentlicht am 29. September 2011 in der Leipziger Volkszeitung.
Übersetzt von Angela Selter.