Leipzig, 27.9.2011: Eine Woche voller Abenteuer

Als vor Monaten das Angebot des Goethe-Instituts zum Journalistenaustausch mit Indien kam, meldete ich mich sofort freudig begeistert. Zwei dicke Wälzer über Indien und die Lebensart der Inder gekauft, dazu Bücher zum Auffrischen meines Englischs – so fühle ich mich gewappnet. Doch je näher Raghunandans Ankunft rückt, desto aufgeregter werde ich. Ob er mich versteht? Welche Themen interessieren ihn? Kommt er sprachmäßig klar, denn er spricht kein Deutsch? Wie reagieren die Leute, die er interviewen will?
Für großes Grübeln ist dann keine Zeit mehr, als ich ihn mit meiner Familie am Flughafen erwarte – zunächst vergeblich: Er hat in München den Flieger verpasst, kommt mit dem nächsten. Dafür fehlt sein Koffer, und die Rezeption des Hotels, das für ihn gebucht ist, hat bereits geschlossen. Als er an diesem turbulenten Abend schließlich doch noch sein Zimmer aufschließt, sind wir beide sehr froh.
Lagebesprechung am nächsten Tag in der Redaktion. Als politischer Journalist will mein Gast schwierige Themen beackern wie das Problem der schrumpfenden Städte. Ich versuche ihm zu erklären, dass Leipzig keine schrumpfende Stadt mehr ist, sondern in fünf Jahren rund 22 000 Einwohner dazu bekommen hat. Aber diese Zahl überzeugt ihn nicht. Wie auch, wenn Bangalore binnen zehn Jahren von vier auf sieben Millionen Einwohner gewachsen ist?
Über die ersten Themen sind wir uns schnell einig: Raghunandan muss unbedingt die Nikolaikirche besuchen (erkennt sie aus dem Geschichtsstudium). Ein Muss ist auch die Mädler-Passage mit Auerbachs Keller (zum ersten Mal erkläre ich die Story um Faust und Mephisto auf Englisch). Er will das Stasi- Museum sehen, und ich möchte ihm den Zoo zeigen (von dem er später total begeistert ist). Ich lade ihn zum Lichtfest am 9. Oktober ein und auch zum Opernball. Doch da taucht ein Problem auf: Beim Opernball gilt für alle Männer Smoking-Pflicht. Modemacherin Silke Wagler ist bereit zu helfen, aber ich sehe Raghunandan an, dass er sich in diesem festlichen Outfit nicht wohl fühlt. „Nie trage ich Uniform, nicht mal zu meiner Hochzeit“, erklärt er, und es scheint die erste kleine Krise zu geben. In diesem Anzug fühle er sich wie Nehru, der frühere indische Ministerpräsident. Offenbar spielt Raghunandan mit dem Gedanken, den Opernball abzusagen – gibt aber zu guter Letzt doch sein Okay.
„Kann man sich in Leipzig sicher fühlen?“, war eine der ersten Fragen des Inders. Ich versichere ihm, dass er unbesorgt allein durch die City bummeln kann, und das tut er nun auch oft. Der 33-Jährige will gar nicht ständig an die Hand genommen werden, sondern sich ganz bewusst allein zurechtfinden.
Wir verabreden eine Paddeltour auf den Plagwitzer Wasserstraßen. Tapfer steigt Raghunandan zum ersten Mal in seinem Leben in ein Kanu. Ich vermute, es ist ihm nicht einerlei – er kann nämlich nicht schwimmen. Indische Kinder müssen das nicht lernen, erzählt er mir. Mein Gast ist Vegetarier, darum stärken wir uns vorher in Barthels Hof mit einer sächsischen Kartoffelsuppe. Ich freue mich, dass es dort Speisekarten in mehreren Fremdsprachen gibt. Denn mit englischsprachigem Infomaterial, das habe ich schon festgestellt, sieht es in Leipziger Institutionen oft trübe aus.
veröffentlicht am 27. September 2011 in der Leipziger Volkszeitung.