Chennai

Chennai, 28.11.2011: Wände und Rahmen

 © Das Projekt A Wall is a Screen in vollem Gange © Foto: Mr. JayakumarDas Projekt "A Wall Is a Screen" des Hamburger Künstlers Peter Stein lockte eine Schar neugieriger Besucher zu Elliot's Beach, wo auf Wände projizierte Kurzfilme gezeigt wurden.

Es war schon eine merkwürdige Prozession, die da am Mittwochabend über Elliot's Beach zog: drei junge Männer ruckelten eine vollbepackte Karre durch den noch warmen Sand, im Schlepptau mehrere Dutzend Menschen, lachend und redend, Kinder darunter, die aufgeregt um die Karre herumsprangen. Wurden die Strandbesucher etwa Zeugen eines neuen spirituellen Rituals? Nein, diesmal war es nicht die Religion, die die Menschen zusammenbrachte, sondern die Kunst.

Denn was die drei jungen Männer über Elliot's Beach schleppten war nichts anderes als ein mobiles Kino: ein Laptop, ein Beamer, zwei Lautsprecher. Von Zeit zu Zeit ließen die drei die Prozession stoppen und zeigten ein, zwei ihrer kurzen Filme, die sie dazu nacheinander auf Hauswände, das Schmidt Memorial, die Wand eines Sportclubs und auf eine selbst gebastelte Plane projizierten, die von zwei Latten gehalten wurde.

"A wall is a screen" heißt das Projekt, das der aus Hamburg, Deutschland, stammende Künstler Peter Stein 2003 ins Leben gerufen hat und mit dem er seither um die Welt reist. "Die Idee dahinter ist, den öffentlichen Raum für die Menschen zurückzuerobern", erklärt Stein. Er werde allzu oft von Konsum und Business, Verkehr oder Vermüllung beherrscht. Menschen würden daraus vertrieben oder müssten sich der vorgegebenen Nutzung anpassen. Ein gutes Beispiel dafür seien die Innenstädte westeuropäischer Großstädte, in denen die Menschen nur noch arbeiten und shoppen, aber nicht mehr leben.

Auf einer Reise um die Welt

An 135 Orten hat Stein bereits sein mobiles Kino aufgebaut, er war in Marokko, Litauen, Moldawien und Texas. "Aber auf einem Strand habe ich noch nie Filme gezeigt", sagte Stein nach der Aufführung in Chennai. Es sei anstrengend gewesen, aber vor allem ein großer Spaß. Ihm und seinen Mitstreitern Thomas Baumgarten und Sven Schwarz stand der Schweiß auf der Stirn, wenn sie wieder einmal ihr schweres Gefährt an einen anderen Fleck am Elliot's Beach wuchteten.

Die Tour begann unmittelbar neben dem Skating Rink ganz im Süden des Strandes. Ein kurzer, kraftvoller Film aus Frankreich mit schnellen Schnitten bildete den Auftakt, zu sehen war auf der Wand des angrenzenden Gebäudes ein Mann in Sportbekleidung, der an verschiedenen Orten einer Stadt Gymnastik machte, Kniebeugen vollführte und Dehnübungen, "Stretching" hieß der Film denn auch. Laute Musik dröhnte in der Dunkelheit über die Verkaufsstände hinweg bis hin zur Promenade. Von allen Seiten kamen, zunächst zögerlich, Menschen heran und schauten neugierig auf die Szenerie. Kinder hüpften vor der Hauswand, manche trachteten danach den Lichtstrahl des Beamers zu erhaschen. Im zweiten Film kamen junge Leute zu Wort, die von ihrem Traum einer menschenfreundlichen Stadt berichteten, ein Projekt des Goethe Instituts zusammen mit Anja Schütze und Schülern sowie Studenten aus Chennai. Der Bann war gebrochen, als der dritte Film in einem richtigen Bollywood-Happyend gipfelte.

Filmischer Höhepunkt des Abends war aber das Stück "Prakash Travelling Cinema", für das die Chennaier Regisseurin Megha Lakhani zwei Männer in Kolkata begleitet hat, die ein fahrendes Kino für Kinder betreiben. Weil sie sich keine Bollywoodfilme leisten können, schneiden sie selbst all die Reste zu einem Film zusammen, die bei professionellen Produktionen abfallen.

Neun Filme zeigen Peter Stein und seine Kollegen am Mittwochabend. Insgesamt haben sie 700 im Programm. Die Auswahl sei diesmal nicht so politisch gewesen wie sonst für gewöhnlich, sagte Stein. "Wir wollten die Menschen in Chennai einfach mit dieser Form des Films und der Filmvorführung bekannt machen." Mit der Resonanz ist er zufrieden. Halbe-halbe sei der Anteil der geladenen Gäste und der Passanten gewesen - eine gute Quote, sagte er. Insgesamt mögen es an diesem Abend rund hundert Zuschauer gewesen sein. 300 bis 500 sind in europäischen Städten keine Seltenheit.

Am Donnerstag haben Stein und sein Team die Tour am Elliot's Beach wiederholt. Es war ihr Abschied aus Indien, nachdem sie zuvor auf Einladung des Goethe-Institutes und im Rahmen des deutsch-indischen Jahres schon in Mumbai und Delhi aufgetreten waren. Für Stein und seine Mitstreiter ging es zurück nach Deutschland. An "A wall is a screen" werden sich aber bestimmt einige der Besucher des Elliot's Beach noch länger erinnern.

Ralf Mielke
veröffentlicht am 28. November 2011 in The Hindu.