Bangalore, 4.5.2012: Und schwupps, besitze ich einen Sari

Was Ayurveda betrifft: So viele Leute, wie ich danach frage, so viele unterschiedliche Vorschläge bekomme ich. Meist sind es Center außerhalb von Bangalore, in die ich fahren soll. Ich stelle den Plan zurück und suche im Internet nach einem Ayurveda-Center in der Mahatma Gandhi Road, ganz in der Nähe meines Hotels. An einem Sonntag mache ich mich auf den Weg
Unterwegs fällt mir ein elegantes Stoffgeschäft auf, in dem Hochbetrieb herrscht. Die zahlreichen Stühle im Laden sind alle besetzt. So voll ist es sonst nur in den vielen gut bewachten Juwelierläden. Sonntags sind in Deutschland die Geschäfte geschlossen. Meine Frage daher, ob heute ein besonderer Event stattfindet, wird verneint. Freitags, samstags und sonntags brummt es einfach in den Sari-Geschäften, dann gehen die Inder mit der ganzen Familie zum Sari-Kaufen. Etwa mit 17, 18 Jahren fangen die jungen Mädchen an, Sari zu tragen. Die älteren Frauen tragen ihn im Alltag, die jüngeren bevorzugen auf der Arbeit inzwischen Jeans. Aber sie gehen gern im Sari auf Partys, zu Familienfeiern, Abendeinladungen oder festlichen Veranstaltungen.
Mindestens 20 Mann Verkaufspersonal, für deutsche Verhältnisse unheimlich viel, schwirren in dem dreistöckigen Laden herum. In Windeseile breitet „meine“ Verkäuferin Vasantma Stoffbahn um Stoffbahn vor mir aus, die herrlichsten Farben und zartesten Seidengewebe. Aber ich will nichts kaufen, mir nur alles anschauen, erkläre ich zwei-, dreimal. Zwecklos! Ich bekomme süßen, cremigen Kaffee serviert, und unversehens stehe auch ich vor dem hohen Wandspiegel. Zwei Verkäuferinnen falten und wickeln eine 6,50 Meter lange smaragdfarbene Stoffbahn um mich herum – und es sieht großartig aus! Der hauseigene Schneider wird geholt, nimmt Maß, fragt mich, wie ich Ärmel, Vorder- und Rückenausschnitt, Blusenlänge gern hätte. Von den 6,50 Metern Stoff gehen gut 80 Zentimeter für die Sari-Bluse ab. Mein Gewand soll so genäht werden, dass ich in Deutschland nur noch rein- und rausschlüpfen, aber nichts mehr wickeln muss. Der Stoff kostet 2200 Rupien (35 Euro), für den Schneider kommen 500 Rupien (8 Euro) dazu, und dann brauche ich noch ein Unterkleid, wird mir eindringlich erklärt (ebenfalls 500 Rupien). In zwei Tagen kann ich wiederkommen, dann ist das Schmuckstück fertig.
Ob ich es in Deutschland jemals tragen werde, weiß ich nicht. Auf dem nächsten Opernball würde ich damit Aufsehen erregen. Auf jeden Fall ist es ein wunderschönes Erinnerungsstück an Indien und für insgesamt 3200 Rupien (51 Euro) auch erschwinglich – für ein Ballkleid müsste ich in Deutschland mindestens das Fünffache zahlen. Ich erkundige mich noch, was mein Mann dazu passenderweise tragen sollte: eine weiße lange Kurta mit kleinem runden Gandhi-Kragen und eine weiße Hose, erklären mir Shopmanager Shivakumar und Verkäuferin Vasantma.
Neben China sind Indien und Japan die wichtigsten Länder, die Seidenanbau betreiben. 80 Prozent der Seidenproduktion Indiens stammen aus Karnataka, dem Bundesstaat, in dem ich mich aufhalte. „Mein“ Geschäft bietet Seidenstoffe verschiedener Qualität ausschließlich aus Bangalore an, von Crepe über Georgette und Chiffon bis zu Wildseide. 500 bis 600 Rupien (8 bis 9 Euro) kostet der billigste Saristoff, allerdings ist das Synthetik und sieht nur wie Seide aus. 50.000 Rupien (knapp 800 Euro) muss man für den teuersten hinlegen.
Das Ayurveda-Center habe ich übrigens nicht mehr gefunden. Wie ein Anruf ergab, ist es inzwischen umgezogen in die sechs Kilometer entfernte Old Madras Road.
veröffentlicht am 4. Mai 2012 in der Leipziger Volkszeitung.