Bangalore, 30.4.2012: Durchatmen in Bangalores Gärten

In seiner Geburtsstadt Lohmen bei Dresden ist er völlig unbekannt: Gustav Hermann Krumbiegel, geboren 1865. Kein Wunder, denn er ist schon als junger Mann weggegangen, erst nach Hamburg, dann nach London. Von London aus, wo er unter anderem im Hyde Park arbeitete, wurde er nach Indien geschickt. Hier in Bangalore wird er als ein ganz Großer verehrt. 25 Jahre leitete Krumbiegel als Direktor den Botanischen Garten Lalbagh und war zugleich dessen Chefgärtner. Dank seiner weltweiten Verbindungen holte er über 1000 Baum- und Pflanzenarten aus ganz Asien, Australien, Amerika und Afrika in den Lalbagh Garden. Zu Krumbiegels Zeiten vergrößerte sich die Parkfläche auf das Sechsfache. Lalbagh ist eine der größten Touristenattraktionen des Bundesstaates Karnataka. Täglich kommen 3000 bis 4000 Besucher, sonntags und in den Ferien 5000 bis 6000 Besucher aus dem ganzen Land. Der Eintritt kostet 10 Rupien (rund 16 Cent). Die Inder mit ihrer großen Begeisterung für Blütendekorationen lieben vor allem die riesigen Blumenschauen jährlich im Januar und August, aber auch die Orangen-, Grapefruit-, Mango- und Jakfruchtschauen oder die große Rosenausstellung. Attraktionen des Parks sind ein 20 Millionen Jahre alter versteinerter Baum, noch mehr aber der drei Milliarden Jahre alte riesige Fels, auf dem die Besucher begeistert herumklettern. Er gehört zu den ältesten Steinen der Erde und hat schon Heerscharen von Geologen aus der ganzen Welt angelockt.
Noch heute steht im Park das – inzwischen verfallene – Gebäude, in dem Krumbiegel sonntägliche Vorlesungen zum Thema Gartenbau etablierte. Vor genau 100 Jahren gründete er in Mysore, 130 Kilometer von Bangalore entfernt, die erste Gartenbau-Ausbildungsstätte Indiens. Er war es übrigens auch, der die breiten Alleen in Bangalore anlegen ließ. Und er sorgte dafür, dass sie mit Bäumen bepflanzt werden, die zu verschiedenen Jahreszeiten blühen. Gustav Hermann Krumbiegel starb im Alter von 91 Jahren in Bangalore. Sein Grabstein befindet sich auf einem christlichen Friedhof in der Nähe des Lalbagh Parks, unter einem afrikanischen Tulpenbaum, einem seiner Lieblingsbäume. In der Langford Road steht ein Krumbiegel-Denkmal, allerdings im Moment in Plastik eingehüllt. Die Straße zwischen dem Haupt- und dem Westeingang des Lalbagh Parks heißt Krumbigla Road.
Fast wie zu Hause in Leipzig fühlte ich mich, als ich an einem Sonntag einen andern Park erkundete, den Cubbon Park. Ein jederzeit frei zugänglicher Stadtpark ohne Einzäunung und ohne Eintritt. Wie im Clarapark saßen die Einheimischen zum Picknick auf der Wiese, machten Ballspiele, bespritzten sich mit einem Wasserschlauch, holten sich beim Eisverkäufer Eis. Ein großer Teil des Parks ist mit Kinderspielgeräten bestückt, dort fährt auch eine Parkeisenbahn, oder man kann eine kleine Bootstour unternehmen.
Die erste Grünanlage, die ich in Bangalore besuchte, war jedoch der Ulsoor Lake, ein künstlich angelegtes Regenwasser-Auffangbecken ganz in der Nähe meines Hotels. Ich wunderte mich, dass der Rikschafahrer an drei Eingängen vorüber fuhr und mich schließlich an einer Bootsanlegestelle auf der anderen Seite absetzte. Bald merkte ich: Das war um die Mittagszeit der einzige geöffnete Zugang. Der Park rund um den See ist eingezäunt und nur morgens von 5 bis 9 Uhr und nachmittags von 16 bis 19 Uhr geöffnet. Morgens würden Jogger und Spaziergänger schon ungeduldig auf die Öffnung warten, erfuhr ich. Durch die Öffnungszeiten soll verhindert werden, dass Obdachlose nachts den Park bevölkern. Ich wurde aber trotzdem an einem der Tore von freundlichem Servicepersonal eingelassen und konnte ganz allein ein Stück am See entlang spazieren und bei der Pflanzen-Bewässerung zuschauen.
Öffnungszeiten haben auch die speziellen Parks für Kinder und für Senioren, wie ich sie im Stadtteil Indiranagar entdeckte. So gibt es einen Seniorenpark für Leute über 60 Jahren. Kinder und jüngere Leute dürfen diese Grünanlage nicht benutzen – falls doch, würde einer der vielen Uniformierten sie wegschicken. In den Seniorenparks ist es verboten, Ball zu spielen, Fahrrad zu fahren oder irgendwelchen Lärm zu machen. Dafür gibt es auf der anderen Straßenseite einen Kinderspielplatz für Kinder bis 13 Jahre und deren Eltern, mit Schaukeln und Rutschen, Wippen, Kletterseilen und Reifen. Ebenfalls gleich nebenan liegt ein Cricket- und Ballsportplatz, auf dem sich ältere Jugendliche austoben können.
Ich frage mich, welche Reaktionen in Deutschland kämen, würde man spezielle Seniorenparks aufmachen. Ich vermute, die ältere Generation würde sich ausgegrenzt fühlen und protestieren. Aber die Seniorenparks in Bangalore (auch in Mumbai habe ich sie gesehen) sind eher ein freundliches Angebot. Wer im Grünen seine Ruhe sucht, findet sie dort garantiert. Wenn die Senioren es wollen, können sie sich aber auch im Kinderpark auf einer Bank niederlassen und den Kleinen beim Spielen zuschauen.
veröffentlicht am 30. April 2012 in der Leipziger Volkszeitung.