Bangalore

Bangalore, 26.4.2012: Rikscha fahren, das tägliche Abenteuer

 © Kerstin Decker Die ersten zwei Tage bin ich in Bangalore nur zu Fuß gegangen und habe meine nähere Umgebung erkundet. Als mich aber am dritten Tag die unvermeidlichen Magen-Darm-Probleme packten und ich mich zu schlapp fühlte, um bei 38 Grad Hitze größere Strecken zu laufen, stieg ich zum ersten Mal in eine Autorikscha.

Es blieb die einzige Fahrt, auf der der Fahrer ordnungsgemäß und unaufgefordert sein Taxameter einschaltete. Warum er 30 Rupien (knapp 50 Cent) verlangte, obwohl 21 angezeigt wurden, blieb mir ein Rätsel. Er holte ein Papier heraus und zeigte auf eine Tabelle. Sei‘s drum, die Summen sind so lächerlich gering, dass man darüber nicht streiten muss.

Seitdem benutze ich immer mal wieder so ein dreirädriges Moped. Meist für den Weg vom Hotel zur Metro. Die Knatterdinger fahren hier zu Tausenden herum, machen ein riesiges Hupkonzert und sind oft so alt, dass die Rückbank gleich mit runterfällt, wenn man aussteigt. Mal wollen die Fahrer für ein- und dieselbe Strecke 30 Rupien haben, mal 40 – aber das lehne ich dankend ab. Mal verlangen sie gar keine konkrete Summe und sind völlig zufrieden mit den 20, die ich ihnen anbiete. Das Phänomen daran ist: Für den Weg zur Metro zahle ich wesentlich mehr als für die Fahrt mit der hochmodernen Stadtbahn selbst. Je nachdem, wie viele Stationen ich mit der Metro zurücklege, kostet mich das 10 bis 14 Rupien.

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In der Stadt fahren tausende von ihnen herum – und machen ein riesiges Hupkonzert

Neulich ist mir etwas passiert, was ich schon in Indien-Blogs gelesen hatte. Ich wollte vom Cubbon Park wieder mal zur Metro. Als wir schon losgefahren waren, meinte der Fahrer, er bringe mich ganz billig hin, für nur zehn Rupien. Weil wir doch Freunde sind. Weil er mein Bruder ist. Nur vorher noch schnell in ein Geschäft, dann gleich zur Metro. Ich hatte weder Zeit noch Lust zum Shoppen, doch darauf antwortete er gar nicht. Er knatterte mit mir in eine abgelegene Straße, ich ging brav in den Laden im Souterrain. Dort standen schon andere deutsche Touristinnen vor einem großen Berg Pashmina-Schals, die eigentlich auch nichts kaufen wollten und von ihrer Autorikscha abgesetzt worden waren. Ich schaute mir ein paar Schals an, ging dann aber wieder und nahm an, die Sache sei damit erledigt. Irrtum! „Dann fahren wir noch in einen anderen Laden“, bestimmte mein Fahrer, „und danach bringe ich dich zur Metro.“ Im zweiten Laden traf ich, na wen wohl? Zwei deutsche Touristen, die keine Lust zum Einkaufen hatten, aber von ihrem Rikscha-Fahrer dort hingebracht worden waren. Wir taten uns zusammen und handelten für vier Schals wenigstens noch einen günstigen Preis aus.

Mein Fahrer hatte im Hinterhof gewartet. Als er mich nun endlich wirklich zur Metro fuhr, fragte er mich aus, wie viele Teile ich gekauft und was ich dafür bezahlt hätte. Wahrscheinlich hat er sich seine Provision ausgerechnet. Wobei er mir einen Zettel zeigte, aus dem ich schließen konnte, dass er Benzingutscheine bekommt, wenn er Touristen in den Laden bringt. Und das macht Sinn, denn das Benzin ist hier mit rund 1,10 Euro pro Liter gigantisch teuer, dabei wird das meiste im Stau durch den Auspuff gejagt. An jeder roten Ampel machen die gering verdienenden Dreirad-Kutscher darum den Motor aus.

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An jeder roten Ampel schalten die Rikschas den Motor aus

Seitdem ich das weiß, verstehe ich auch jenen Rikscha-Mann besser, den ich an meinem allerersten Tag in Bangalore nur nach dem Weg zur Metro gefragt hatte. Er ging gleich mit und wich mir nicht von der Seite, bis ich durch die Ticket-Schranke entschwunden war. Er habe gegenüber seinen Laden, den müsse ich mir anschauen, sagte er. Seitdem habe ich ihn noch ein paarmal getroffen, und jedesmal hängt er sich an meine Fersen, um mich in seinen Laden zu bringen. Ich sage immer, dass ich einen Termin und keine Zeit habe. Er glaubt es mir nicht – nun ja, Europäerin mit Fototasche, das sieht nicht nach Arbeit aus.

Kerstin Decker
veröffentlicht am 26. April 2012 in der Leipziger Volkszeitung.