Bangalore

Mumbai, 21.4.2012: Bei den „Meister Proppern“ von Mumbai

 © Saris in der Waescherei © Foto: Kerstin DeckerWaschen wie im Mittelalter – Saris, Jeans, Tischdecken trocknen zwischen Slums und Schnellstraßen

In jedem Mumbai-Reiseführer steht, man soll sich als Tourist unbedingt anschauen, wo die Wäsche der 18-Millionen-Stadt gewaschen wird. Die Inder, die ich danach frage – Leute aus der gehobenen Mittelschicht – finden das Thema nicht so wichtig. Denn mittlerweile hätten immer mehr Leute eine eigene Waschmaschine. Aber gerade deshalb ist der Besuch in der Wäscherei Dhobi Ghat lohnenswert – ein Ausflug ins Mittelalter.

Von bunten Saris über weiße Businesshemden bis zu Jeans aller Art, von Restaurant-Tischwäsche über Hotelhandtücher baumelt im Dhobi Ghat alles auf der Leine, was in Mumbai getragen und demzufolge auch gewaschen wird. Hotels, Restaurants, Krankenhäuser und Privatleute nutzen die Dienstleistung, weil sie billiger ist als die eigene Waschmaschine und der Strom, den sie verbraucht.

Normalerweise waschen Inder ihre Wäsche im Fluss. Auch mein Taxi fahrender Guide wäscht seine Wäsche im Fluss, er wohnt außerhalb von Mumbai. Da es in dieser Millionenstadt jedoch keinen geeigneten Fluss gibt, wurde irgendwann die riesige Wäschereianlage gebaut. Sie liegt hinter dem Slumviertel der Mahalaxmi-Station, direkt an der Eisenbahnlinie, zwischen Schnellstraßen und modernen Wolkenkratzern. Ähnliche öffentliche Wäschereien gibt es auch in anderen indischen Städten, auch in Bangalore, aber dies soll sogar die größte der Welt sein.

Nein, richtig da rein gehe er mit mir nicht, erklärt mein Guide Philipp ganz entschieden. Das habe er einmal mit einem Touristenpaar gemacht. Von den Chemikalien hätten die beiden so schweren Ausschlag an den Füßen bekommen, dass sie ins Krankenhaus mussten. Lediglich von einer stark befahrenen Schnellstraßen-Brücke aus erklärt er mir, wie die „Meister Propper“ dort unten schuften.

Gearbeitet wird zwölf Stunden am Tag. Die dreckige Wäsche wird an festgelegten Tagen aus den einzelnen Stadtvierteln abgeholt. Zu großen runden Ballen verschnürt, wird sie auf Holzkarren herangeschafft. Jedes Wäschestück ist mit einem Monogramm bestickt, damit es hinterher wieder zum richtigen Besitzer kommt. Ein Hemd kostet inklusive Bügeln 10 Rupien, ungefähr 16 Cent. Für einen Taxifahrer wie Philipp ist das viel Geld. Er verdient 6000 bis 7000 Rupien im Monat, etwas mehr als 100 Euro. Seine Frau ist an Krebs gestorben, er hat noch zwei Töchter und einen Sohn zu ernähren.

Waschen ist hier ausschließlich Männersache. Die Männer im Dhobi Ghat verdienen mehr als Philipp in seinem weißen Hemd, nämlich 200 bis 300 Rupien pro Tag. Dafür machen viele diesen Job auch nur für ein halbes Jahr, dann gehen sie zurück in ihre Heimat nach Nordindien. Dort kaufen sie Getreide und versuchen ihr Glück mit Ackerbau. Etwa 2000 Tagelöhner arbeiten im Dhobi Ghat, und sie wohnen auch direkt in der Anlage in ärmlichen winzigen Hütten.

Ob die Textilien am Ende hygienisch einwandfrei sind, daran hat wohl jeder Tourist seine Zweifel, wenn er zwischen Autoabgasen und jeder Menge Müll steht und das Ringen um Reinheit beobachtet. Aber irgendwie sauber werden die Sachen wohl schon. Stark Verschmutztes wird stundenlang in Tonnen eingeweicht, erklärt Philipp. Der „Hauptwaschgang“ geschieht in gemauerten Waschkojen, die die Männer für 300 Rupien im Monat mieten. Darin stehen sie, die nasse Wäsche auf einen eingemauerten Waschstein schlagend, bis zu den Waden im Wasser. Sie verwenden dreierlei verschiedenes Wasser, erklärt Philipp. Für den letzten Gang, das Spülen sozusagen, ganz klares Wasser. Danach wird die Wäsche in einem Wald von Wäscheleinen getrocknet, allerdings nicht zur Monsunzeit – da muss jeder Kunde selbst zusehen, wie er seine Sachen trocken bekommt. Gebügelt und zusammengelegt, landen die Sachen schließlich wieder auf den Holzkarren und werden zum Kunden zurückgebracht.

Kerstin Decker
veröffentlicht am 21. April 2012 in der Leipziger Volkszeitung.