Leipzig

Leipzig, 12.10.2010: Leipzigs Charme

 © Punnee Amornviputpanich im Gespräch mit dem Leipziger Stadtoberhaupt Burkhard Jung © Foto: privatThailändische Gastredakteurin beendet ihren Aufenthalt in Sachsen.

Einmal hatte ich die Möglichkeit, vom 28. Stockwerk eines Gebäudes aus Leipzig zu bewundern. Ich stand im Büro von Marit Schulz, der Marketingmanagerin der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH. Marit führte mich durch das Stockwerk, so dass ich die Stadt aus allen vier Perspektiven sehen konnte, was bei mir einen ganz besonderen Eindruck von Leipzig hinterließ. Die Türme der Thomas- und der Nikolaikirche sind beeindruckend, egal aus welchem Blickwinkel. Und ich hatte an dem Tag Glück mit dem Wetter. Es war so klar, dass ich bis zum Völkerschlachtdenkmal, dem größten Denkmal Europas, sehen konnte.

Wenn man aus der Vogelperspektive auf den Platz vor dem Alten Rathaus blickt, kann man sich kaum der Vorstellung entziehen, welche Stimmung im 15. oder 16. Jahrhundert da unten herrschen musste, als Menschen aus allen Himmelsrichtungen nach Leipzig strömten, um miteinander zu handeln. Diese Stimmung ist auch heute nach 500 Jahren noch gut zu spüren.

Als jemand, der sich um Tourismusangelegenheiten der Stadt kümmert, betont Marit Schulz, dass Leipzig in vielen Hinsichten eine einzigartige Stadt ist, die mit jedem Tag immer mehr Besucher aus Nordamerika, Asien oder Russland anlockt. Insbesondere für leidenschaftliche Bach-Anhänger, wie japanische Touristen, ist Leipzig fast ein Muss. Zudem hat sich Leipzig in den letzten Jahren zu einem wichtigen Treffpunkt von Künstlern aller Sparten entwickelt. Die Stadt stellt Künstlern aus aller Welt, sei es im Bereich der Musik, der bildenden Künste oder der Schauspielkunst, Flächen und Räume für Ausstellungen und Aufführungen zur Verfügung. „Eine Besonderheit ist, dass Leipzig eine Stadt der Freiheit und Unabhängigkeit ist. Die Formulierung ‚Leipziger Freiheit‘ sagt viel darüber. Die Leipziger sind stolz, dass der Prozess der Wiedervereinigung zwischen den beiden Teilen Deutschlands seinen Anfang in ihrer Stadt genommen hat. Die Berliner Mauer kam auch wegen der freiheitsliebenden Leipziger zu Fall. Im Oktober 2009 kamen mehr als 150 000 Menschen zu den Feierlichkeiten zum 20-jährigen Jubiläum der Friedlichen Revolution. „Sie sind herzlich eingeladen, wenn wir die nächsten 20 Jahren feiern“, sagte Marit zu mir mit einem herzlichen Lächeln. In 20 Jahren, also im Jahr 2030, eine interessante Idee. Es würde mich schon sehr interessieren, wie sich Leipzig in den nächsten 20 Jahren verändert haben wird.

Ende September traf ich mich mit Burkhard Jung, dem Oberbürgermeister der Stadt. Es war ein so munteres Gespräch mit diesem freundlichen, smarten Oberbürgermeister, dass ich kaum glauben konnte, dass die eingeplante halbe Stunde schon vorbei war. Wir unterhielten uns vor allem über den Charme von Leipzig und waren uns darüber einig, dass Leipzig kulturell, historisch, architektonisch und literarisch eine besondere Stellung hat. Auch hat die Stadt eine angenehme Größe. Sie ist nicht allzu groß. Jung sagte, dass 75 Prozent der Leipziger ihre Stadt sehr lieben. Für die nächsten 20 Jahre wünscht sich der Oberbürgermeister, dass Leipzig eine dauerhafte, ausgewogene Entwicklung hat sowie dass die Stadt sich mehr und mehr umweltfreundlichen Technologien zuwendet und sich zu einem Bildungszentrum entwickelt. Auch ein deutlicher Rückgang der Arbeitslosenzahl ist ein wichtiges Vorhaben. In 20 Jahren wird vermutlich die Einwohnerzahl von gegenwärtig 520 000 auf 550 000 steigen. Jung will Leipzig bis dahin zu einer Stadt der europäischen Dimension entwickelt haben.

Nun fliege ich nach Thailand zurück. Ich komme noch einmal an einem Bettler vor der Nikolaikirche vorbei. Wir sehen uns seit einem Monat jeden Tag. Auch wenn wir uns nicht wirklich kennen, macht mich die Vorstellung traurig, dass ich durch diese Straße vorerst das letzte Mal gehe. Jetzt bin ich eine unter den 75 Prozent der Leipziger geworden. Seit meinem ersten Tag hier frage ich mich jeden Abend vor dem Einschlafen, was eigentlich der Charme dieser Stadt ist. Jetzt weiß ich die Antwort: Das sind die Menschen hier, die Leipziger. Die Hilfsbereitschaft der Menschen, die ich vorher nie kannte, oder der Menschen in den Zügen, oder die Freundlichkeit eines Wurstverkäufers, der eine Ausländerin mit einer exotischen Sprache zu verstehen versuchte und und und.

All dies ist die Gastfreundlichkeit in der Fremde, der Charme, den ich nicht vergessen werde. Auf Wiedersehen in 20 Jahren! Good bye my Leipzig!

Punnee Amornviputpanich
veröffentlicht am 12. Oktober 2010 in der Leipziger Volkszeitung.

Aus dem Thailändischen übersetzt von Dr. Chalit Durongphan.

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