Leipzig

Leipzig, 20.9.2010: Wollen Leipziger lächeln, oder nicht?

 © Lächeln auf Thai: M. Joy und Nampung (von links) vom Restaurant Kaimug in Leipzig © Foto: Punnee AmornviputpanichWenn man wie ich aus Thailand kommt, das als Land des Lächelns bekannt ist, ist es naheliegend, sich für das Lächeln zu interessieren. Bei uns glaubt man, dass ein Lächeln am Tag das Leben um einen Tag verlängern kann.

Dies ist übrigens von Forschern der US-amerikanischen Wayne-State-University bestätigt worden. Sie fanden heraus, dass man desto länger leben wird, je breiter man lächelt. Zu diesem Ergebnis kamen sie durch Analysen von Fotos von 230 Baseballspielern. Dabei konnten sie die Spieler in drei Gruppen einteilen, nämlich 1) die Gruppe der Nie-Lächelnden, deren durchschnittliche Lebenserwartung bei 73 Jahren liegt; 2) die Gruppe der Gelegentlich- Lächelnden, deren durchschnittliche Lebenserwartung 75 Jahre beträgt; und 3) die Gruppe der Breit-Lächelnden, deren durchschnittliche Lebenserwartung sich auf 80 Jahre beläuft.

Seit mehreren Tagen spaziere ich um das Stadtbürogebäude der Leipziger Volkszeitung herum, um diesbezügliche Daten zu erheben. Heimlich habe ich die Leipziger, die mir begegnet sind, auch in drei unterschiedliche Gruppen eingeteilt, nämlich die Gruppe „Lächeln“, die Gruppe „bemühtes Lächeln“ und die Gruppe „Schnute“. Sicherlich ist es schwer für mich, zu unterscheiden, welche von den Menschen, die mir auf den Straßen begegnen, echte Leipziger sind. Um eine hohe Fehlerquote zu vermeiden, betrachte ich für die Durchführung meiner persönlichen Studie ausschließlich Verkäuferinnen und Verkäufer in umliegenden Geschäften als meine Probanden.

Es dürfte nicht allzu schwer sein, zu erraten, zu welcher Gruppe die Mehrheit meiner Probanden gehört. Was mich am meisten beeindruckt, ist jedoch die Gruppe „bemühtes Lächeln“. Die Angehörigen dieser Gruppe tun ihre Pflicht als gute Gastgeber. Sobald sie einen asiatisch, also völlig fremd aussehenden Besucher wahrnehmen, bemühen sie sich zu lächeln. Bei manchen ist ein leichtes Lächeln an den Mundwinkeln zu sehen. Andere lächeln ein wenig schüchtern, was irgendwie charmant wirkt. Die kleinste Gruppe ist die Gruppe „Schnute“. Allerdings sind mir Mitglieder dieser Gruppe an Orten begegnet, an denen man ihre Existenz am wenigsten erwartet, nämlich an Touristeninformationen. Sicher, sie haben es satt, tagaus, tageinimmer die gleichen Fragen zu beantworten. Auf der anderen Seite haben sieleider einen Job, den man mit Lächeln ausführen soll, oder? Schließlich käme kein Tourist dorthin, wenn er sich nicht verlaufen oder sonst irgendwelche Fragen und Probleme hätte, die er selbst nicht beantworten kann. Besucher, die eine Touristeninformation aufsuchen, sind voller Sorgen. Deshalb erwarten sie als Erstes von den Leipzigern ein süßes Lächeln, damit sie sich geborgen und willkommen fühlen. Man bedenke, dass jährlich mehr als 1,8 Millionen Touristen diese Stadt besuchen. Nicht weniger als 350 000 davon sind Ausländer.

Bei einem Kaffee im deutschlandweit ältesten Café Coffee Baum meinte Jirayuth, ein thailändischer Student, der gerade an der Universität Leipzig im Bereich International Business promoviert, die Einheimischen in Leipzig würden nicht so viel lächeln wie etwa die Menschen in Süddeutschland. Wahrscheinlich habe es damit zu tun, dass Leipzig keine wichtige touristische Stadt sei oder dass die Menschen hier sehr lange in einem sozialistischen System gelebt hätten. Während des Gesprächs sah ich immer wieder zu den Menschen hinüber, die beim Abendessen vor den umliegenden Restaurants saßen … Tatsächlich, die Deutschen können stundenlang zusammensitzen, essen, Bier trinken, ohne dabei einander anzulächeln. Das Nicht- Lächeln gehört zu ihrer natürlichen Wesensart. Dennoch bemühen sich viele, uns ein leichtes Lächeln zu schenken.

Der Psychologe Professor Dieter Zapf von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main sagte zu Journalisten, dass das professionelle Lächeln, das etwa Flugbegleiter oder Verkäufer sich aneignen müssen, äußerst schädlich für die Gesundheit sei. Diese Art des Lächelns sorgt ihm zufolge für hohen Blutdruck, Stress und Depressionen.

Meiner Ansicht nach ist Lächeln ein persönliches Recht. Man kann keinen zum Lächeln zwingen. Nicht-Lächeln verletzt die Rechte anderer Menschen nicht. Und wenn man Probleme mit dem Blutdruck oder Stress bekommen kann, wenn man lächelt, dann soll man es lieber sein lassen.

Es wird also Zeit für die Leipziger, sich zwischen „Lächeln“ und „Nicht-Lächeln“ zu entscheiden. Wenn man nicht lächeln will, dann wird in den Reiseführern allein der Name „Leipzig“ erwähnt. Ist es aber nicht eine geradezu verlockende Idee, Leipzig einen Kosenamen wie „Leipzig, die einzige lächelnde Stadt in Deutschland“ hinzuzufügen?

Punnee Amornviputpanich
veröffentlicht am 20. September 2010 in der Leipziger Volkszeitung.

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