Jakarta, 27.12.2010: Die Stadt der Schwalben

Die Straßen von Tangerang, einem Vorort von Jakarta, sind leer gefegt. Eine Geisterstadt? Nicht ganz. Hier leben zwar keine Menschen, dafür aber Tausende von Schwalben. Chinesischstämmige Indonesier haben 500 der dreistöckigen Häuser entkernt und mit kleinen Nischen versehen, damit die Schwalben hier ihre Nester bauen können. Schwalbennester gehören nämlich zu den teuersten Delikatessen in chinesischen Restaurants. Die gelbliche Suppe, die aus den Nestern gekocht wird, besteht hauptsächlich aus dem Speichel der Vögel und wird nicht nur wegen des Geschmacks so geschätzt, sondern wegen der heilenden Wirkung, die ihr nachgesagt wird. „Leider lassen sich Schwalben nicht züchten“, sagt Sugi, dem fünf solche Betonklötze gehören. „Sie bauen ihre Nester nur freiwillig.“ Dafür haben die Chinesen ihre Häuser zu Schwalbenbunkern umgebaut, mit kleinen Löchern, durch die die Vögel einund ausfliegen können. Doch das schrille Vogelkreischen auf den Straßen kommt nicht nur von den Vögeln. Zum Teil kommen diese Laute auch vom Band, damit die Schwalben angezogen werden. Sugi: „Aber auch das funktioniert nicht immer. Schwalben sind schwierig.“ Eine echte Plage sind inzwischen Nestdiebe. Deswegen haben erste Nesthändler die Erdgeschosse der Häuser vermietet. „Ich höre schon gar nicht mehr hin“, sagt Novi, die vor sieben Jahren mit ihrer Familie in einen Schwalbenbunker eingezogen ist. „Die Vögel sind friedlich und tun uns nichts.“ Dass ihre Wohngegend eine Schwalbenstadt ist, stört sie nicht. „Geerntet“ werden die Nester nur zwei- bis dreimal im Jahr, sagt Sugi. Rund zwölf bis 15 Millionen Rupien (100 bis 120 Euro) bekommt er für ein Kilo Nester. „Wir nehmen die Nester aber erst dann ab, wenn die jungen Vögel fliegen können.“ Schließlich will der chinesischstämmige Indonesier, dass sie wiederkommen und dann selbst ein leckeres Nest bauen.
veröffentlicht am 27. Dezember 2010 in DIE WELT.