Hanoi

Hanoi, 22.1.2011: Spitznamen gegen böse Geister

 © In Hanoi derzeit überall anzutreffen: Frisch vermählte Paare © Foto: Nadine AlbachFrauen gehören in Vietnam mit 28 Jahren schon zum alten Eisen – Zwei-Kind-Politik führt zu hoher Abtreibungsquote.

Die Vietnamesen haben eine Lieblingsfrage. Anfangs verstand ich noch „How are you?“ – also „Wie geht es Ihnen?“ Inzwischen habe ich mich in die vietnamesische Aussprache eingehört und weiß, dass es in Wirklichkeit „How old are you?“ – Wie alt sind sie – heißen soll.

Diese Frage ist hier völlig normal. Neu ist für mich allerdings die Erfahrung, dass ich als Frau mit 32 Jahren zum alten Eisen gehöre. „Mit 28 Jahren gucken wir Frauen nicht mehr an“, erklärte mir jüngst ein Taxifahrer. Die vietnamesische Bevölkerung selbst ist extrem jung: 65 Prozent sollen die 30 noch nicht erreicht haben. Und die zunächst witzig klingende Bemerkung des Taxifahrers hat einen durchaus ernsten Hintergrund: Viele Vietnamesen haben mir erzählt, dass eine Frau, die mit 25 noch nicht verheiratet ist, abgeschrieben wird. Und gerade ist Heiratshochsaison: Unentwegt posieren junge Paare am berühmten Hoan-Kiem-See. Verheiratet zu sein hat eine große Bedeutung – und vor allem, Kinder zu bekommen. Im Frauenmuseum von Hanoi zeigt eine goldene Statue das Idealbild der Frau hier: Zugleich Mutter und tragende Säule der Gesellschaft. Vom marxistischen Ideal der Großfamilie aber hat man sich verabschiedet. Im „Asienspiegel“ heißt es, die „Zwei-Kind-Politik“ sei Anfang 2010 ein wenig gelockert worden – Eltern dürfen in Ausnahmefällen auch ein drittes bekommen.

Die Konsequenz ist erschreckend, wie der deutsche Journalist Christian Oster erzählt, der seit Jahren in Vietnam lebt: Das Land habe eine der höchsten Abtreibungsquoten der Welt. Hier zählt ein Junge noch immer mehr als ein Mädchen. Kinderkriegen ist deshalb mit allerlei Ritualen verbunden, sagt Elena Hansen, die als Entwicklungsstipendiatin der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) ein Jahr im Frauenmuseum arbeitet. Sie erzählt auch von der Gepflogenheit, Kindern bis zur Einschulung nicht ihren richtigen Namen zu verraten, sondern sie mit Rufnamen wie „Kartoffelknöllchen“ zu versehen – damit die bösen Geister nicht auf sie aufmerksam werden.

Nadine Albach
veröffentlicht am 22. Januar 2011 in der Westfälischen Rundschau.

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