Hanoi

Hanoi, 31.1.2011: Künstlerische Aufbauarbeit

 © Suzanne Lecht (re.) und Natasha Kraevskaia (li.) © Foto: Nadine Albach„Hanoi ist meiner Meinung nach viel mehr eine Stadt der Künstler als eine Stadt der Kunst“ –das hat Nora Taylor, Professorin für Süd- und Südostasiatische Kunst am School of the Art Institute Chicago gegenüber dem Goethe-Institut erklärt.

Diesen Künstlern eine Art Heimat zu geben, einen Ort, an dem sie die Werke zeigen können, die sie fertigen wollen – dazu haben vor Jahrzehnten zwei sehr unterschiedliche Frauen beigetragen, beide ein Stück weit Pionierinnen: Die russische Kunstexpertin Natasha Kraevskaia, mit dem „Salon Natasha“ selbst Teil der Kunstszene, und die Amerikanerin Suzanne Lecht, die mit der „Art Vietnam“ Gallery eine international renommierte Anlaufstelle für zeitgenössische vietnamesische Kunst geschaffen hat. Zwei Leben, zwei spannende Geschichten.

Suzanne Lecht kennt eine ganz andere Welt, als das Hupen und Sirren, Brummen und Stöhnen der Hauptstadt Hanoi, das auch in der kleinen Seitenstraße Nguyen Khac Nhu noch zu hören ist. Suzanne ist groß geworden „mitten im Nirgendwo“ von Amerika, erst in Montana, dann in Kansas, auf einer Farm. Vielleicht aber hat sie schon damals die Großstadt angezogen, das Gewusel der Menschen, der Duft des prallen Lebens. Sie ging nach New York, studierte Innenarchitektur, reiste herum – und traf Mr Right der in diesem Fall Mr Lecht hieß.

Mit ihm öffnete sich die Tür nach Asien. Die beiden zogen nach Japan, erlebten dort eine goldene, progressive Zeit. Bis Mr Lecht starb. Suzanne Lecht stand vor dem Aus, alles um sie herum schien ein Ende zu finden: Die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis, die Wohnung – die gesamte Lebensgrundlage in Japan glitt ihr durch die Finger. „Alle dachten, ich würde zurück nach Amerika gehen“, erinnert sich Suzanne. Doch sie fand Hanoi – und Hanoi fand sie. Ein Artikel über die berühmte „Gang of Five“ ließ Suzanne Lecht aufmerken: Sie mochte die Art, wie sie ihre Gefühle reflektierten, spürte die Spiritualität ihrer Bilder. „Mein Mann und ich haben Kunst immer geliebt. Wir hatten uns versprochen, dass wir im Alter einmal in einer Kunstkolonie leben würden.“ Ein Traum, der vielleicht weiterleben könnte – in ihr. „Wir hatten so ein aufregendes, wunderschönes Leben gemeinsam– aber jetzt musste ich es allein weiterleben. Ich wollte versuchen, eine kleine Künstlerkolonie zu gründen und eine Brücke zwischen den Kulturen zu sein.“

Suzanne Lecht machte einen Schnitt, einen kompletten Neustart: Sie verschiffte ihre Besitztümer nach Amerika – und landete selbst in Vietnam. Der 8. Januar 1994:Es war dunkel, neblig und so ruhig und friedvoll. „Mich hat der Ort unbewusst angezogen: Ich war eine Witwe, erfüllt von Traurigkeit – aber die Melancholie dieses Ortes war noch viel größer.“ Als sie zwei alte Männer mit langen Bärten beim Tee trinken beobachtete, berührte die Gleichzeitigkeit von Schönheit und Trauer ihr Herz zutiefst. Eine Zufallsbegegnung im Kunstmuseum ebnete ihr den Weg: Sie traf Pham Quang Vinh, ein gebürtiger Vietnamese, der in Neuseeland lebte, sie zum Essen einlud – und Ha Tri Hieu und den anderen Mitgliedern der „Gang of Five“ vorstellte. Suzanne Lecht nahm Fotos ihrer Kunst mit ins Ausland, stellte sie Freunden und Kunstkennern vor und organisierte 1997 eine Ausstellung mit Kunst aus Hanoi in Hongkong. „Eine wirkliche Galerie-Szene gab es in Hanoi noch nicht.“ 1993 hatte die renommierte „Mai Gallery“ eröffnet – die erste allerdings, die einen privaten Kunstraum schuf, war Natasha Kraevskaia.

„Es war ein Kulturschock“, beschreibt sie ihre Eindrücke von ihrer Ankunft in Vietnam 1983. „Die Menschen waren sehr arm, es gab so gut wie keine Läden, kein Transportsystem. Aber ich war jung und sehr neugierig.“ Natasha Kraevskaia, Ph.D. in Philologie, konnte nicht direkt mit den Studierenden, sondern nur mit den Professoren arbeiten –doch sie spürte die Begeisterung und Wissbegier. Eine Kollegin vom Puschkin-Institut, für das Natasha arbeitete, erzählte ihr schließlich von einem großartigen Künstler und schickte sie, beladen mit Souvenirs, zu seinem Atelier. „Paff“ – Natasha klatscht in die Hände „Love story.“ Sie und Vu Dan Tan wurden ein Paar – in der Liebe und in der Kunst. Und das in einer Zeit, in der der Kontakt zu Ausländern streng reglementiert war. „Es war sehr aufregend. Ich habe alle Regeln gebrochen“, sagt Natasha Kraevskaia und ihre Augen blitzen schelmisch auf.

Die beiden beschließen, die Grenzen zwischen Kunst und Alltag aufzuheben und eröffnen 1990 den „Salon Natasha“. Längst war zwar die Zeit von „doi moi“, doch die Veränderungen kamen nur langsam in der Kunstszene an – und einen Ort wie diesen hatte es bislang nicht gegeben: „Wir wollten einen Raum schaffen, an dem Menschen experimentieren, Künstler sich treffen, performen und informelle Happenings veranstalten können, wo kommuniziert und diskutiert werden kann – ohne Kontrolle.“ Moderne Salonkultur. Kurzerhand verwandelten sie das Atelier von Vu Dan Tan auch in einen Ausstellungsraum – einen Treffpunkt für Intellektuelle und Interessierte, um die Veränderungen und Innovationen in der Kunstszene hautnah zu erleben, die mit dem wirtschaftlichen Wandel einhergingen. „Mitte der 90er Jahre war eine Zeit der Entdeckungen“, erinnert sich Natasha. „Die Künstler konnten reisen und sehen, welche Entwicklungen es im Westen gab.“ Salon Natasha wird zum Kulminationspunkt für andere, ungewöhnliche auch junge und unbekannte Kunst abseits des Mainstreams und der kommerziellen Verwertbarkeit. „Dieser Ort ist mein Unterbewusstsein – meine Träume und Visionen werden lebendig“, hatte Vu Dan Tan in einem Interview bei einem Gastaufenthalt in Kalifornien erklärt. Auch Nora Taylor misst dem Salon Natasha besondere Bedeutung in der vietnamesischen Kunstszene zu. „Der Ort liegt an der wohl beliebtesten Straße Hanois und dennoch, wenn du hineingehst, die Türen weit geöffnet, verschwindet die Stadt. Es ist gleichzeitig ein sehr intimer, aber auch öffentlicher Raum“, erklärte Taylor anlässlich der von Natasha Kraevskaia kuratierten Ausstellungsreihe „Hanoi im Spiegel der Kunst“ des Goethe-Instituts.

Auch Suzanne Lecht hat Pionierarbeit geleistet, wenn auch in anderer Form: Wenn Mitte der 90er Ausstellungen zu sehen waren, starteten sie um 11 Uhr morgens, zur Arbeitszeit, und mit starkem Reiswein. Und als die Amerikanerin 2002 ihre „Art Vietnam“-Galerie in einem traditionellen „tube house" in der Altstadt eröffnete, musste sie erst lernen, dass so etwas wie die exklusive Vertretung eines Künstlers unmöglich war. „Davon hatte hier noch nie jemand gehört. In dieser Hinsicht herrschte eine dörfliche Mentalität: Fast jeder Künstler versuchte seine Werke auch privat zu verkaufen.“ Ein Problem, für das es auch heute noch keine lupenreine Lösung gibt. „Aber das gehört zur asiatischen Mentalität – das musste ich lernen und mich einerseits arrangieren und andererseits meinen professionellen Ansprüchen genügen. Es ist ein Balanceakt.“

Den Suzanne Lecht mit Erfolg meistert: Seit 2007 ist sie in die neuen, großzügigen Räumlichkeiten in der 7 Nguyen Khac Nhu eingezogen, die sie acht Monate lang umgebaut hat und die vor allem ausländische Kunden anzieht. Aktuell ist eine Ausstellung von Nguyen Quang Huy zu sehen – Portraits von Hmong, die Stolz und Unschuld ausstrahlen. „Vor gut zehn Jahren wäre so etwas noch nicht möglich gewesen. Die Kunst hat sich wahnsinnig weiter entwickelt“, sagt der Besucher Hans Georg Knopp, Generalsekretär des Goethe-Instituts, beeindruckt.

Und doch sehen sowohl Suzanne Lecht als auch Natasha Kraevskaia aktuell große Herausforderungen für die Kunstszene in Hanoi. So gewinnt das Internet an Einfluss. „Bislang haben die vietnamesischen Künstler ihre Einzigartigkeit behalten – ich hoffe, dass es so bleibt“, sagt Suzanne Lecht. Und auch Natasha Kraevskaia registriert „wie die Künstler zunehmend versuchen, die Bedürfnisse des internationalen Marktes zu bedienen. Sie betreiben Marketing, richten sich nach dem, was Einkäufer wollen – und nicht mehr so stark nach dem, was aus ihren Herzen kommt.“ Kopieren und Kommerz statt eigener Kreativität: manche Künstler hätten ihre Unschuld verloren. Gleichzeitig aber bringe die Globalisierung auch Vorteile, sagt Natasha Kraevskaia: Die Künstler können sich Equipment wie Videokameras leisten und damit experimentieren, sie werden „Mitglieder der weltweiten Kunstgemeinschaft.“ Die russische Kunstexpertin jedenfalls hat den Salonbetrieb heruntergefahren auf maximal zwei Ausstellungen pro Jahr; sie konzentriert sich nun, nachdem ihr Mann gestorben ist, nur noch auf das, was ihr Spaß macht: in aller Welt kuratieren, Vorträge halten, Aufsätze schreiben. In der Hang Bong 30 aber findet auch immer noch derjenige Kunst, der sie sucht.

Nadine Albach
veröffentlicht am 31. Januar 2011 in Tienphong Daily.

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