Hanoi

Hanoi, 26.1.2011: Erwachsen werden in Hanoi

 © Drei Freiwillige in Hanoi © Foto: Nadine AlbachEtwas ganz Neues sehen, eine andere Kultur als die deutsche erleben, ins Ausland gehen und sich dabei auch noch sozial engagieren – das ist die Motivation vieler Volunteers im „weltwärts“-Programm, dem Freiwilligendienst des deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Im Sommer 2008 kamen die ersten 22 Freiwilligen auch nach Vietnam, damals betreut von den DED-Mitarbeitern Oliver Heller und seiner vietnamesischen Kollegin Nguyen Thanh Huyen. Felix Rüdiger, Rebecca Mayer und Saba Brause gehören zu den 13 Volunteers in Vietnam des aktuellen Jahrgangs, die „weltwärts mit der GIZ“ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) gegangen sind – und zum Tet-Fest Halbzeit ihres Jahres in Hanoi feiern.

Wann ist man wirklich in Vietnam angekommen? Wenn man sich einen Pony beim vietnamesischen Friseur schneiden lässt, sich das erste Mal getraut hat, mit seinem vietnamesischen Handy in Deutschland anzurufen oder, wenn man sein Essen auf Vietnamesisch so bestellen kann, dass die Kellner einen direkt verstehen? Felix Rüdiger (19), Rebecca Mayer (20) und Saba Brause (20) jedenfalls bewegen sich in Hanoi mit einer gewissen Selbstverständlichkeit. Und das, obwohl sie unmittelbar nach dem Abitur hergekommen sind – zu einem Zeitpunkt, als viele ihrer Altersgenossen maximal eine eigene Wohnung in Deutschland suchten. „Ich wollte raus aus Deutschland. Ich habe mich schon vorher sozial engagiert und habe Interesse daran, auch später in diesem Bereich zu arbeiten – da war ein Jahr in einem anderen Land perfekt“, sagt Rebecca Mayer.

Bei ihren Recherchen sind alle drei schnell auf den Deutschen Entwicklungsdienst gestoßen, der seit Anfang 2011 Teil der neugegründeten „Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) ist. Dass im „weltwärts“-Programm zumindest bei der GIZ die kompletten Kosten für Flug, Unterkunft und Verpflegung von der Bundesregierung übernommen werden und „es gewisse Strukturen gibt – wie ein Dach über dem Kopf und einen festen Job – hat uns den Einstieg erleichtert“, erklärt Saba Brause. Von ihrer Mutter wird sie unterstützt und auch Felix Eltern haben sich nach dem ersten Schock für ihn gefreut.

Dass Felix Rüdiger, Rebecca Mayer und Saba Brause von über 80 möglichen Einsatzländern ausgerechnet nach Vietnam gegangen sind, hat unterschiedliche Gründe: Felix und Rebecca hat Asien gereizt, Saba war von einer vietnamesischen Freundin infiziert, für alle drei war aber das Projekt entscheidend, auf das sie sich gezielt beworben haben – circa 50 Prozent der Bewerber auf die Volunteers-Stellen haben dabei Erfolg. „Natürlich gibt es interessante und weniger interessante Projekte und Orte, an denen es sich besser oder schlechter leben lässt. Entscheidend ist jedoch, was die Freiwilligen aus der jeweiligen Situation machen“, so Eva Lindenlaub, die seit 2009 als Consultant Junior Staff Development von weltwärts in Vietnam aktiv ist. Rebecca engagiert sich nun bei der Blue Dragon Childrens Foundation, einer australischen Organisation für benachteiligte Kinder und Jugendliche, mit einem Center als Anlaufstelle, in dem sie mit den Kindern spielt, rollerskatet, malt, redet, sich um behinderte und Straßenkinder kümmert. „Ich arbeite relativ viel, aber das finde ich auch gut so“, sagt Rebecca. Felix und Saba hingegen sind an der Universität Hanoi im deutschen Fachbereich untergebracht, unterstützen die Lehrkräfte und beraten sie als Muttersprachler, helfen sowohl bei den Prüfungsvorbereitungen als auch bei ihrer Abnahme und geben selbst Kurse. „Die Arbeit ist fordernd, macht aber auch viel Spaß. Wir sind sehr gut eingebunden“, sagt Felix.

Allen dreien war schon vorab klar, dass sie nicht mit einer Weltverbesserungs-Attitüde ankommen dürften: „Dafür war das Vorbereitungsseminar in Deutschland ziemlich gut: Zu denken, die brauchen uns unbedingt, bringt nichts“, erklärt Rebecca. „Es geht eher darum, eine internationale Gesellschaft zu schaffen. Ich sehe es mehr als Prämisse des Programms, sich selbst und die eigene Gesellschaft zu verändern und das kennenzulernen, was in Entwicklungsländern Alltag ist“, ergänzt Felix. Neben dem Seminar haben alle drei auch einen dreiwöchigen Sprachkurs zur Vorbereitung für ihren Einsatz besucht.

An die erste Konfrontation mit der Realität in Hanoi aber erinnern sie sich alle noch gut: „Als wir hier im August ankamen, war es sehr heiß – das war ein richtiger Schock“, beschreibt Felix. Bei der Busfahrt vom Flughafen zur Unterkunft sah er die vielen Menschen, die unzähligen Motorräder, diese Riesenstadt Hanoi und war „total fasziniert“. Und auch Saba, die sich eigentlich von dem langen Flug sehr müde fühlte, war plötzlich wieder hellwach. „Irgendwie sah alles so vertraut aus und doch so anders“, erinnert sich Rebecca – die vor lauter Müdigkeit einfach ohne zu Gucken über die Straße gehen wollte und aufgeregte Schreie erntete. Die ersten Tage waren eine Herausforderung: „Bisher kannte ich diese Welt nur von außen, jetzt war ich mittendrin“, erzählt Felix, der sich unsicher war, was er überhaupt essen konnte und sich anfangs insgesamt überfordert fühlte. Ein Gefühl, das sicherlich noch durch das Staunen der Vietnamesen über seine Größe verstärkt wurde.

Inzwischen fühlen die Drei sich aber gerade auch durch ihre Arbeit stärker integriert. Viele Vietnamesen freuen sich, dass sie ein paar Brocken ihrer Sprache sprechen und laden sie zum Essen ein. Und umgekehrt wissen die Drei inzwischen, dass eine direkte Ansage zur hiesigen Mentalität gehört – auch wenn das bedeutet, dass einem verkündet wird, man habe einen dicken Po. Felix Rüdiger, Rebecca Mayer und Saba Brause verknüpfen Vietnam schon jetzt mit Erlebnissen, die sie nie vergessen werden. Seien es schöne Momente, wie den als die von Saba und Felix organisierte „Schneewittchen“-Aufführung mit einem hochbegabtem vietnamesischen Studenten als Hexe in Stöckelschuhen zum Höhepunkt der Fakultätsweihnachtsfeier wurde – ergänzt durch eine Neuinterpretation des Hits „Satellite“ der deutschen Grand Prix-Gewinnerin Lena Meyer-Landrut. Oder tragische Situationen, wie Rebecca sie erlebt hat: Ein kleiner Junge, den sie betreut hatte, kam gemeinsam mit seiner Großmutter um, als ihr Hausboot abbrannte.

Gelernt haben alle Drei schon jetzt eine Menge. „Ich habe erlebt, wie man auch auf die Dinge blicken kann – und durch die Arbeit an der Uni auch Neues über Deutschland gelernt“, sagt Saba. Rebecca merkt, dass sie anders auf Situationen reagiert als zuvor: „Ich sitze nicht mehr so fest auf dem, was ich erwarte, sondern gehe offener auf die Dinge zu.“ Felix hofft, dass er bei seiner Rückkehr ein wenig von der vietnamesischen Gelassenheit mitnimmt: „Man braucht nicht für alles Regeln und Vorschriften. Hinter jedem Chaos steckt eine gewisse Ordnung. Manche Dinge passieren einfach – seid ein wenig spontaner und flexibler.“

Pläne für die Zukunft haben sie geschmiedet: Saba hat bereits einen Studienplatz für Politikwissenschaften in Frankreich, Felix will internationale Beziehungen in Dresden studieren und Rebecca möchte gern für ein Psychologiestudium in ein englischsprachiges Land – eine Vorstellung, die sich für sie erst hier in Vietnam ausgeprägt hat. Möglich, dass das Jahr als Volunteers alle Drei ein wenig erwachsener macht: „Natürlich bereichert einen das“, sagt Felix. „Selbst Verantwortung zu tragen, verändert einen“, findet auch Saba. Rebecca zögert. „Ich weiß nicht so genau. Ich bin etwas gelassener geworden – und charakterlich nicht mehr so extrem.“

Nadine Albach
veröffentlicht am 26. Januar 2011 in Tienphong Daily.

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