Hanoi

Hanoi, 8.1.2011: Mit Goethe und Parzifal in Hanoi

 © Vietnamesische Künstler proben die Oper „Der durch das Tal geht“ © Foto: Goethe-InstitutDeutschland und Vietnam – zwei Kulturen, die aufeinander prallen und sich viel zu geben haben. Das ist deutlich zu spüren bei dem ambitionierten Theaterprojekt „Der durch das Tal geht“, mit dessen Uraufführung das Goethe-Institut in der nächsten Woche das Deutschlandjahr in Vietnam und damit die Feier der Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor 35 Jahren abschließt. In dem Libretto hat sich der bedeutende Dramatiker Tankred Dorst mit dem Parzival-Stoff auseinandergesetzt, Pierre Oser schrieb die Musik – und die Inszenierung übernimmt Beverly Blankenship, die schon in Dortmund mit ihrem Don Giovanni für Furore sorgte. Ein Blick in turbulente Proben.

Der Fahrer des Goethe-Instituts Vietnam hält vor dem Opernhaus Hanoi, einem prachtvollen Gebäude im französischen Kolonialstil, das unterstreicht, warum die vietnamesische Hauptstadt auch das Paris Asiens genannt wird. Während Tausende von Motorrollern hupend und mit halsbrecherischen Manövern vorbeisausen, holt er einen großen Karton aus dem Kofferraum – ein Heizlüfter für die Künstler. Denn in der Oper ist es bitterkalt. Neun Grad bei hoher Luftfeuchtigkeit. Seit Tagen schon herrschen für Hanoi ungewöhnlich niedrige Temperaturen, Heizungen gibt es in den Häusern nicht. Die Künstler, die geschäftig hin und herlaufen, tragen dicke Daunenjacken, Mützen und Handschuhe. Ein skurriler Anblick zwischen den pompösen Balkonen und den roten Samtsesseln. „Das ist die erste Oper, die ich mit Kapuze inszeniere“, sagt Regisseurin Beverly Blankenship. Sie steht auf der Bühne und versucht, einen Überblick zu bekommen. Seit November proben das internationale Produktionsteam und die rund 100 vietnamesischen Künstler zusammen, gerade erst sind sie auf die Bühne im Opernhaus gewechselt.

Eine Herausforderung. „Mit europäischen Verhältnissen kam man das nicht vergleichen“, sagt Choreograph Henning Paar, der mit den „sehr guten“ Tänzern die diszipliniertesten Künstler in dem Projekt aus Oper, Schauspiel und Tanz betreut. Das Opernhaus ist nur ein Gehäuse ohne festes Team – für jede Produktion müssen nicht nur die Kreativen, sondern auch Equipment und Techniker besorgt werden. Der Orchestergraben ist zu klein für die über 50 Musiker, die nun hinter einem durchscheinenden Vorhang hinten auf der Bühne spielen – mit der Konsequenz, das der musikalische Leiter Pierre Oser die Darsteller nur noch per Monitor sehen kann und umgekehrt.

„Das ist eine Erfahrung, die von allen viel Flexibilität erfordert“, sagt Dr. Almuth Meyer-Zollitsch, Leiterin des Goethe-Instituts Vietnam. Denn jenseits der Sprachbarriere bei der Produktion, in der Deutsch gesungen und Vietnamesisch gesprochen wird, sind die Theater- und Musiktradition sowie die künstlerische Ausbildung grundsätzlich anders: Pierre Oser musste erleben, dass die Musiker sich weniger auf den Zusammenklang als auf ihre Einzelleistung konzentrieren. Chor und Sänger sahen sich erstmals mit der Anforderung konfrontiert, beim Singen auch zu schauspielern. Und Coach Silvia Mödden, die ursprünglich nur engagiert war, um den vietnamesischen Künstlern beizubringen, dass es „Klößchen“ und nicht „Kloßchen“ heißt, musste Basisarbeit leisten und Grundlagen der Gesangsausbildung nachholen. Klassische Sänger in Vietnam haben ihr Repertoire häufig über CD und YouTube erarbeitet – sie brauchen klare Vorgaben, um sie zu kopieren.

„Überheblichkeit sollten wir uns allerdings sparen“, sagt Almuth Meyer-Zollitsch: Zeit und Geld für eine gute künstlerische Ausbildung fehlen in Vietnam, das erst seit kurzem den Sprung vom Entwicklungsland zur rasch wachsenden Wirtschaftsnation gemacht hat – allerdings noch immer unter kommunistischer Regierung, die sich wenig um Demokratie sorgt. Knapp 170 Dollar monatlich verdient ein Orchestermusiker im Schnitt; Nebenjobs in T-Shirt Fabriken und als Verkäufer sind Alltag. Dass das Projekt des Goethe-Instituts für nachhaltige Qualifizierung sorgt, hat Almuth Meyer-Zollitsch auch davon überzeugt, die hohen Kosten in Kauf zu nehmen – als Highlight im Programm von „Deutschland in Vietnam 2010" mit 100 Veranstaltungen und einem Gesamtbudget von 1,2 Mio. Euro.

Das Produktionsteam hat die Arbeit ein „bisschen Demut“ gelehrt, so Regisseurin Blankenship. „Wir sind total verwöhnt“, sagt Pierre Oser über die deutsche Theaterlandschaft – er hat schon mehrfach in Vietnam gearbeitet und hadert mit der Grenze zwischen Anspruch und Realität. „Wir stellen uns selbst schon die Frage, ob es immer so perfekt sein muss“, erklärt Chefdramaturg Christoph Maier-Gehring. Oser bewundert das Talent der Vietnamesen zur Improvisation ebenso wie Blankenship: „Sie sind sehr mutig beim Arbeiten und versuchen, es immer irgendwie zu schaffen. Sie verändern uns und wir verändern sie.“

Die Regisseurin hat die Künstler ins Herz geschlossen und in Vietnam „eine zweite Heimat“ gefunden. Anfangs war sie noch skeptisch, ob die Geschichte des jungen Parzival, der sich von seiner Familie löst und in die Welt zieht, um sich zu bewähren, angesichts des so anderen Kulturkreises wirklich in das Land passen würde. „Aber nachdem wir selbst den Verkehr hier überlebt haben, denke ich, dass es unbedingt so ist. Unser höchstes Gut ist das Miteinander.“

Nadine Albach
veröffentlicht am 8. Januar 2011 in der Westfälischen Rundschau.

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