Tamale, 17.11.09: Slalomschlingern, ohne Licht und Bremse

Mein Fahrrad ist da! Ausgerechnet an dem Tag, an dem Kollege Zakaria Alhassan aus aktuellem Anlass die dramatische Daily Graphic-Aufmachergeschichte für die Samstagsausgabe mit heißer Nadel stricken – und schließlich per Fax verschicken muss, weil das Internet mal wieder nicht tut, ausgerechnet an dem Tag, an dem er außerdem einen ausführlichen Bericht über den Ärztemangel in der Northern Region als großen Beitrag auf den "Regional News" abliefern und nebenbei die Kinder von der Schule abholen muss, an diesem Tag bringt er mir "l'image" in die Redaktion. Schwarz und hübsch: MEIN Fahrrad.
Der Ruf als Fahrradstadt eilt Tamale haargenauso voraus wie Freiburg, die Radwege sind allerdings so hoffnungslos multifunktional, dass die Radtour in die Stadt zumindest mit deutlich mehr Überraschungen aufwartet, als – sagen wir - die Fahrt vom Vauban zum Theater. Zunächst mal ist der üppige drei, vier Meter breite Radweg mit einem Mäuerchen zur Straße hin abgegrenzt, das locker 30 Zentimeter hoch ist. Das heißt: es gibt kein Entrinnen, wenn einem ziemlich unvermutet eine Handvoll magere Rinder entgegengetrabt kommen. Oder wenn sich plötzlich eine ganze Schulklasse auf den Radweg ergießt, alle in winzig- lilaweiß Kariertes gewandet, Kleider für die Mädchen, Hemden für die Jungen. Tatsächlich spielt sich so ziemlich alles was nicht Autoverkehr ist, auf dem kilometerlangen Seitenstreifen ab. Straßenverkäufer klemmen ihre Ständ mit Telefonkarten, Plastikeimern, Papaya haarscharf an den Rand, alle Fußgänger sind hier unterwegs, mit oder ohne auf dem Kopf balancierter Last, Kinder, Katzen, ein paar dürre Hunde, viele Hühner mit noch viel mehr Küken – und allgegenwärtig und absolut eigenwillig: Ziegen. Eigentlich gehört vor allem ihnen aller öffentliche Raum -und der private auch, so er nicht lückenlos umzäunt ist.
Folglich bedeutet Fahrradfahren – ähnlich übrigens wie das Autofahren auf der benachbarten Autospur – ununterbrochene Slalomschlingern. Wundersamerweise fügt sich das auf dem Radweg immer - das Chaos funktioniert einwandfrei, obwohl die meisten der knuffigen Räder weder Licht noch Bremse haben - und obwohl alle in allen Richtungen irgendwie aneinander vorbeimanövrieren. Nebendran auf der Autospur hingegen kracht's und knirscht's immer mal wieder, das querbeet Freestylefahren scheint unmotorisiert doch leichter zu handhaben zu sein. Kleines Handicap auf der langen Bolgaroad stadteinwärts: Die staubige Straße steigt ganz leicht an, nicht mehr als die Habsburgerstraße auf dem Weg in die Stadt. Unter der sengenden Sonne aber ist jede Fahrt ins Zentrum wie das Erklimmen eines Berges hors catégorie: Patschnass steigt man zwischen Kükenhorden und Melonenbergen "oben" in der Stadt vom Rad, lächelt tropfend aber huldvoll nach allen Seiten und verdrückt sich geflissentlich in den Bürokühlschrank: In der Redaktion friert man dann den Rest des Tages tiefgekühlt unter der Klimaanlage. Und freut sich, wenn irgendwann eben doch wieder der Strom ausfällt. Und wenn's abends auf dem Heimweg viel lockerer die Straße wieder runter geht.
veröffentlicht am 17. November 2009 in der Badischen Zeitung.