Tamale, 12.11.09: Mit dem Trotro zu Terrys Torschuss

Trotro-Fahren ist immer spannend, nicht nur die Vorabverhandlungen um den Fahrpreis, zu denen vermutlich alle Weißen superkluge Ratschläge aus ihren Lonely-Planet-Reiseführern mitbringen. Auch die jeweilige Besetzung: das Taxi hält, wenn es noch nicht bis ans Limit voll ist, wenn jemand am Straßenrand signalisiert, dass er mitwill.
Eigentlich aber sind die drei, vier Kilometer wie nahtlos aufgefädelter bunter Buden, Häuschen, Verschläge und Verkaufsstände entlang der Straße zwischen dem "Ticcs"- Guesthouse und dem Stadtzentrum definitiv viel zu eindrucksvoll, als dass man im Auto hier entlang fahren will. Die Straßen hier sind schlicht aufregender als unsere gleichförmigen Shopping-Meilen. An diesem Sonntagnachmittag ist es zu heiß und zu spät, um vergnügt die "Bolga-Road" entlangzutraben: In einer Stunde nämlich beginnt das ersehnte Match Chelsea gegen Manchester United und die Verabredung mit den Kollegen steht – ebenso wie die Wette. Also Trotro-Taxi und Warmlaufen für mein erstes "Public Viewing" in Tamale.
Vor dem Eingang zum großen Hinterhof steht längst eine lärmende Menschentraube – einige hundert Public Viewer drängen unter lautem Gelächter, Geprotze und Gejohle in den Hof, kämpfen um die besten Plätze vor dem – dann doch recht kleinen – Flachbildschirm, der in einer dunklen Ecke des Hofs angebracht ist. Es dominieren die blauen Chelsea-Trikots, Ballack und Drogba sind sichtlich die Favoriten, nur wenige rote "Rooney"-Fanshirts verlieren sich in der Menge. Eine Frau steht seitlich hinten am Rand des Hofes, mittendrin bin ich die einzige. Und obendrein eine der wenigen ManU-Fans. Das fällt allerdings kaum ins Gewicht, denn Chelsea hat immer wieder Oberwasser – was mit lauten Schmährufen in Richtung ManU-Fans gefeiert wird. Jeder gelungene Pass wird bejubelt wie ein Hattrick, natürlich nicht im Sitzen: Sobald sich Begeisterung breit macht, springen alle tanzend auf. Wurden allerdings Abseits oder Foul nicht gepfiffen, wird hier getobt und gezetert, dass der Schiedsrichter das eigentlich vor Ort noch hören müsste.
Neben mir hat auf dem Schoß des jungen Kollegen Nuruddin Salilu ein Freund seinen zweijährigen Sohn geparkt. Inmitten all diesen Gelärmes, die südafrikanischen Stadionbeschallungsplastiktröten gehören natürlich auch dazu, des beständigen Triumphgeheuls bei tollen Tacklings, eleganten Flanken und reaktionsschnellen Torhüterparaden – inmitten all diesen Gelärmes schläft der Kleine schwitzend ein. Das macht den Kollegen im Ballack-Trikot weder leiser noch unbewegter. Zum Glück aber holt der Vater den Kleinen wieder ab, kurz bevor Chelsea tatsächlich von Terry zum 1:0 katapultiert wird. Besser kann die Stimmung im Stadion auch nicht sein – singen, tanzen, prahlen und strahlen: kollektives Glücksgefühl à la Tamale. Na, komm schon, schlag ein, sagen die Kollegen tröstend, war doch ein irres Spiel! Noch irrer: wie wahnsinnig lebhaft und ausgelassen Fußballgucken stattfinden kann. Eine ganze Zeitreise weit weg vom Sofa- Sportschau-Samstag.
veröffentlicht am 12. November 2009 in der Badischen Zeitung.