Palermo

Palermo, 10.11.09: Von Müllbergen und Tretminen

 © Ansicht auf Palermo © Foto: Michael WilsonWie schön Palermo liegt, inmitten einer Meeresbucht: La Conca d´Oro - diese italienischen Worte für die “Goldene Muschel” hören sich für uns Deutsche schwärmerisch an. Palermo - diese alte Prachtstadt mit ihren halb verfallenen Palästen, den verschlungenen, dunklen Gassen, den quirligen Märkten, lebendigen Geschäftsstraßen - und den zum Himmel stinkenden Müllbergen.

Ein abendlicher Gang durch die Vucciria mit einem Abstecher in La Kalsa. Die Restaurants und Kneipen an der Piazza Marina sind gut besucht, man wandert gedankenverloren durch die kleinen Gässchen, lässt den Blick auf die bröckelnden Fassaden schweifen und spürt plötzlich ein glitschiges, nicht definiertes Etwas unter seinen Schuhen. Für einen kurzen Moment schlittert man über das staubtrockene Pflaster in der Via Alessandro Paternostro. Ein wilder Müllhaufen steht an der Wand gelehnt. Vor ihm haben sich Plastiksäcke voller vergorener Lebensmittel auf die Straße ergossen. Autos, die vorbeifahren wollen, haben nur die Chance, mitten durch aufgeplatzte Tomaten, Gemüse-Matsch und Unrat zu fahren.

Entlang der Via Roma geht es am nächsten Tag in die Via Vittorio Emanuele, dem Cassaro. Es ist eine typische touristische Route, eine Gruppe von lachenden Japanern bleibt stehen und schaut sich an der Calzature Pelletterie Berge von abgerissener Plastikfolie, Styroporreste, zerfetzte Werbeprospekte und überquellende Müllbehaelter an. Fast schon eine Wohltat dagegen ist der Innenhof der Cattedrale: Außer ein paar vollen Müllbehältern ist es hier nahezu sauber.

Nördlich des Cassaro geht es ins Capo-Viertel. Entlang der Straße liegen überall Stofffetzen auf dem Boden und aufgeschlitzte Mülltüten. Selbst vor dem Palazzo di Justicia liegen Flaschen und Müllhäufchen herum. Hinter dem Palast geht es zum Mercato del Capo und durch die Porta Carini in die Via Volturno. Ein älterer Mann gerät ins Stolpern, als er über Kisten, die auf dem Fußgängerstreifen liegen, balancieren muss. Am Foro Italico erscheint dann eine Art Fata Morgana: Es gibt sie also doch, zwei Straßenkehrer, die das Laub zusammenrechen. Fast liebevoll schieben sie die Zweige und Blätter zu symmetrischen Haufen zusammen. Richtung Norden in der Via dei Barilai aber sieht man wieder das bekannte Bild: Müllberge auf dem Fußgängerweg.

“Palermo stinkt” hieß es schon vor einem guten halben Jahr, als die Müllabfuhr streikte. Und die Müllberge wachsen weiter und weiter. Das wäre in Berlin undenkbar: Längst hätte sich das Land eingeschaltet und Druck auf die Führung ausgeübt. Denn die Berliner Stadtreinigung (BSR) ist ein kommunales Unternehmen mit 5300 Mitarbeitern, das sich über die Gebühren der Bürger finanziert.

Im Gegensatz zu Palermo sieht man Berlin zwar keine großen Müllberge, dafür liegen auf den Straßen kleine “Tretminen”.

Tretminen - jeder in Berlin kennt das Wort für Hundekot. Und jeder ist auch schon mal in so einen Dreckhaufen getreten und laut fluchend weitergelaufen. Gegen den Hundekot sind 20 sogenannte Hundekotsauger, 120 Gehwegmaschinen und 1600 Straßenreiniger im Einsatz, die täglich neben der Abfallentsorgung 55 Tonnen Kot der 200 000 Hunde in Berlin beseitigen. Jährlich sind das etwa 156 Millionen Häufchen, die sich quer über eine Straßenlänge von 5200 Kilometern verteilen. Wer die Exkremente seines Hundes nicht entsorgt, der muss 35 Euro Strafe zahlen. Theoretisch, denn die Ordnungshüter müssen Hund und Herrchen auf frischer Tat ertappen.

Noch Anfang der neunziger Jahre hatte die BSR mehr als 11 000 Mitarbeiter. Und trotz der vielen städtischen Reinigungskräfte hatte Berlin noch vor 20 Jahren ein richtiges Schmuddel-Image. In der Stadt mit den Alliierten galten andere Gesetze als in “West-Deutschland”, man hatte andere Sorgen als sich um den Abfall zu kümmern. Dann kamen die neunziger Jahre mit dem gesellschaftlichen Umbruch nach der Maueröffnung. Überall wurde gebaut, ganze Stadtquartiere saniert - Berlin war eine einzige Baustelle.

Heute achten die Berliner mehr auf ihre Stadt. Sie werfen weniger Abfall weg, sie identifizieren sich mehr mit ihrer Stadt. Auf einer Fläche von 890 Quadratkilometer leben 3,4 Millionen Menschen, die pro Jahr rund eine Million Tonnen Hausmüll produzieren und 80 000 Tonnen Straßenkehricht. Doch das ist auch ein Berliner Phänomen: Mitarbeiter der BSR leeren Mülleimer, die an der Straße angebracht sind. Aber um die überquellenden Behälter auf einer Grünanlage kümmern sie sich nicht. Was vor allem an Wochenenden erstaunt und verärgert, ist Vorschrift: Für Grünanlagen sind die zwölf Berliner Bezirke verantwortlich. Und deren Beschäftigte arbeiten am Wochenende nicht. So bleibt der Dreck eben liegen - bis zum Wochenanfang.

Sabine Beikler
veröffentlicht am 10. November 2009 in La Repubblica Palermo.