Nairobi, 30.11.09: Und nirgendwo ist Meryl Streep

Ich war in einem Museum in Afrika am Fuße der Ngong-Berge. Da starb ein Mythos. Als ich den Film „Jenseits von Afrika“ nach dem Buch „Afrika – Dunkel lockende Welt“ von Tania Blixen das erste Mal sah, heulte ich so sehr, dass ich vor mir selbst erschrak. Als ich ihn das zweite Mal sah, heulte ich wieder Rotz und Wasser und mir wurde klar, dass Robert Redford mir die Haare waschen sollte. Als ich den Film zum dritten Mal sah, heulte ich Strauße und Zebras. Und als sich vor wenigen Wochen entschied, dass ich für einen Monat nach Afrika gehen sollte, Nairobi….sah ich mir den Film nochmals an, um auf die Landschaft zu achten, um mich einzustimmen. Und heulte Löwen und Gnus.
„Nairobi, unsere Stadt, lag zwölf Meilen entfernt, unten in einem flachen Landstrich zwischen den Bergen. (Da liegt sie immer noch.) Da war das Haus des Gouverneurs (Kolionalist!), da residierten die großen Firmen (Ausbeuter!), von da aus wurde das Land regiert (heute auch, nicht gerade zum Wohle aller Kenianer von Präsident Kibaki und Premierminister Raila Odinga). Es gibt kein Leben, in dem nicht eine Stadt eine Rolle spielt (kann auch Frankfurt heißen) und es macht wenig aus, ob man ihr wohl oder übel gesinnt ist, sie zieht die Gedanken an sich nach einem geistigen Gesetz der Schwere (kann auch Heimweh sein).“ Ja, die Tania, auch Karen Blixen genannt, die alte Dänin.
Keine Frage, dass ich einen Besuch im Karen-Blixen-Museum im Stadtteil Karen (!) plante. Endlich sah ich auch von Ferne die Ngong-Berge. Schon diesen Namen auszusprechen, ließ die terrassenförmigen Baumkronen der Schirmakazien, hingetupft in endlos weite Savannenlandschaft, vorm Auge auftauchen. Am Horizont jagte ein prachtvoller Löwe vor der untergehenden Sonne einem pfiffigen Zebra hinterher, das er natürlich nicht reißen konnte, denn hier war ich der Regisseur, und der Kitsch, nicht das Leben. „Ich hatte eine Farm in Afrika…“ Oh seufz, ganz tief seufz. Und ein Geständnis: Erst vor meiner Reise nach Nairobi begann ich zum ersten Mal das Buch „Afrika – Dunkel lockende Welt“ zu lesen. Was mit dem Film ungefähr so viel zu schaffen hat, wie ein aus frisch gemahlenen Bohnen zubereiteter, schwer duftender und anregender Kaffee – mit einem Nescafé, nicht heiß genug und Klümpchen drin. Ich las und las und war begeistert von dieser schlichten, starken Sprache und den Bildern, die da vor meinem inneren Auge in prachtvollen Rahmen hingen. Wechselnde Ausstellung nach jeder Buchseite. Es ist die Manesse-Ausgabe im damenhaften Format mit Seiten aus diesem dünnen Papier, das sehr distinguiert klingt beim Blättern.
Unweigerlich nimmt man diesen leicht blasierten Gesichtsausdruck an, mit hochgereckten Augenbrauen, um dann Sätze wie diesen zu lesen: „Auf Safari habe ich einmal eine Büffelherde von einhundertneunundzwanzig Stück unter einem kupferbraunen Himmel einzeln aus dem Morgennebel hervortauchen sehen, als ob die dunklen, schwarzen ehernen Tiere mit ihren mächtigen, seitlich geschwungenen Hörnern nicht auf mich zukämen, sondern vor meinen Augen stückweis, wie sie fertig wurden, herausgeschoben würden.“ Die Büffel übrigens sind heute mit ein Grund, warum eine unbewaffnete Dame nicht allein zu den Ngong-Bergen reisen sollte, die etwa 30 Kilometer von der Stadt entfernt wie die Knöchel einer Hand im Land liegen. Schurken auf zwei Beinen sind der andere Grund.
Inzwischen in Afrika, am Abend unter dem Moskitonetz liegend, blätterte ich weiter im Manessebändchen und wurde zunehmend ruhelos. Nicht aber wegen Denys Finch Hatton, alias Robert Redford, der im Buch erstaunlich seltene Auftritte hat. Ich wurde Frau Blixen langsam böse. Für Sätze wie diesen: „Die toten Löwen (Finch Hatton hatte gerade einen Löwen, Dame Blixen eine Löwin erschossen) neben uns waren wunderbar anzuschauen in ihrer Nacktheit (Fell ab!), keine Spur von überflüssigem Fett war an ihnen, jeder Muskel eine kühn geschwungene Kurve, sie bedurften keiner Hülle (!), sie waren durch und durch, was sie sein sollten (tot).“
Kurze Zeit nach meinem langsamen Befremden besuchte ich dennoch wie geplant das Karen-Blixen-Museum, das Haus, in dem sie lebte. Dänemark hat es Kenia 1963 zur Unabhängigkeit geschenkt. Es ist ein Haus. Es ist klein. Man ist bei weitem nicht alleine dort mit seinen Gedanken. Es sind sehr viele englisch sprechende Gestalten dort, die physiognomisch sehr anders ausschauen, als Meryl Streep im Film. Von hier aus ist sie losgezogen, erhabene Gefühle zu empfinden – beim Töten der Löwen.
Ich habe im Souvenirshop ein Lesezeichen gekauft, mit dem von Karen Blixen gemalten Kopf eines Kikuyu-Mädchens, für das Manesse-Büchlein, das dieses Bild auf dem Umschlag trägt. Ich habe im Karen Blixen Coffee Garden überteuerten Salat gegessen und in der angrenzenden Galerie ein Armband aus bunten Glasperlen gekauft. Das war diesseits von Afrika. Kenia hat rote Erde, hat in der Umgebung Nairobis das angenehmste Klima. Man ist skeptisch, will aber nicht wieder gehen. Kann nicht bleiben. Versteht wieder den Schmerz der Frau, die hier lebte, liebte, ja auch jagte, und kämpfte. Eine andere sein konnte als in ihrem Dänemark. Aber es geht darum, dass die Menschen, denen dieses Land gehört, hier sein können, wer sie sind. Nicht, was die immer noch hier satt lebenden reichen Weißen sie sein lassen. Ja, die Mzungus geben den Kenianern Arbeit: Koch, Nanny, Gärtner, Haushälter. Aber welche Arbeit hätten sie und gäben sie selbst anderen, hätten sie die Möglichkeit dazu, zumindest die Chance…
Ein Traum, ein Schmerz, eine Naivität, Wunde und Scham. Was mir bleiben wird, ist die kathartische Heulerei, am Schluss des Films „Jenseits von Afrika“, am Ende des Buches. Dieses Weinen wird nun mehr Gründe haben.
Suaheli des Tages: Simba heißt Löwe.
veröffentlicht am 30. November 2009 in der Frankfurter Rundschau.