Nairobi, 28.11.09: Unterwegs nach oben

Bunt, voller Farben, fröhlich gar war das Leben nicht, das einen Mann geprägt hat, der sich in solchen Bildern ausdrückt. „Ich habe als Kind in den Straßen von Nairobi gelebt, bei Freunden im Slum geschlafen“, sagt der heute 30-Jährige. Charles Ngatia ist ein sehr leiser Mensch, spricht, als wolle er niemanden stören. Er lächelt vorsichtig beim Reden, schaut immer wieder auf das Bild, an dem er gerade in seiner Werkstatt in der Go-down-Fabrik im Industriegebiet von Nairobi arbeitet. Ngatia war schon down, war ganz unten, ist inzwischen aber – auf seine leise Art – unterwegs nach oben.
Zuvor wächst er er mit acht Geschwistern im Slum auf, der Vater ist verschwunden oder tot, „ich weiß nicht genau“. Ngatia geht bis zur sechsten Klasse zur Schule, dann kann die Mutter nicht mehr zahlen, sie ist allein mit acht Kindern völlig überlastet, beginnt zu trinken, wird massiv alkoholkrank. Ngatia versucht sich mit anderen Kindern in den Slums durchzuschlagen, aber der schüchterne Junge ist der gnadenlosen Hackordnung auf Nairobis Straßen nicht gewachsen. Er ist eines der ersten Kinder, die nach Shangilia kommen, ein von der Filmemacherin Anne Mungai Mitte der 90er Jahre in den Kangemi Slums gegründetes Kinderheim, in dem die Kinder zur Schule gehen, aber auch in Tanz, Musik und Akrobatik unterrichtet werden. Ngatia beginnt eine Autoschlosserlehre, hält aber nicht durch. „Der Mechaniker hat mich immer Künstler genannt.“ Ngatia schmunzelt, begründet den Spitznamen aber nicht. Er versucht sich als Straßenverkäufer, absolviert ein Wachmann-Training, wird aber nicht genommen, weil er zu jung ist. Und tapfer. Trotz seiner Schüchternheit, weiß er offenbar genau, was er nicht will: untergehen, auf die schiefe Bahn geraten.
Dann schaut das Glück vorbei, wie eine Belohnung. Ngatia malt die Bühnendekoration für die Shangilia-Kinder – und dabei fällt den Mitarbeitern und Besuchern sein Talent auf. Er bekommt einen Platz in der Künstlerwerkstatt des Nairobi Museums, beobachtet die anderen Künstler und beginnt mit allen möglichen Materialien zu experimentieren. Es folgen erste Ausstellungen: im Goethe-Institut, in der Museums Galerie, in der Contemporary Gallery of East Africa. „Vor neun Jahren musste ich von Shangilia weg, weil ich zu alt war“, sagt Ngatia, der wieder in einem Slum wohnt, in Embakasi. „Daher kommt die ganze Inspiration für meine Kunst. Ich seh’ mich um, ich male. Ich gebe den Bildern Farbe, um die Slums zu beleben.“
In diesem Jahr hatte er über das deutsche Ehepaar Hans und Soli Dreckmann, Freunde von Shangilia, eine Austellung in Köln – und hat alle Bilder verkauft. „Manchmal kann ich von der Kunst leben, manchmal nicht.“ Manchmal kann er den Transport seiner Bilder zu einer Galerie bezahlen, manchmal nicht.
Teuer sind seine Bilder indes nicht. Kleinformatige bekommt man schon für etwa 6000 Kenia Schilling, also rund 60 Euro. Die größeren, meist um die 50 mal 50 Zentimeter großen Bilder kosten zwischen 12000 und 35000 Kenia Schilling. „Meine Preise sind klein, dann kommen sie von Herzen.“ Sagt der Maler, der noch kein Geschäftsmann ist. Sein Zukunftstraum sieht auch anders aus – und überrascht nicht: „In zehn Jahren möchte ich ein berühmter Künstler sein, der ein bequemes Leben hat.“ Das im Slum begann.
Charles Ngatia im RaMoMa Museum of Modern Art, 2nd Parklands Avenue, geöffnet außer sonntags von 9.30 bis 16.30 Uhr, der Eintritt ist frei.
Suaheli des Tages: Kwa juu heißt nach oben.
veröffentlicht am 28. November 2009 in der Frankfurter Rundschau.