Nairobi

Nairobi, 26.11.09: Den Zebras so nah

 © Zebras im Nationalpark Kitengelaglas © Foto: Lia VennWer in Nairobi ist, zum ersten Mal in seinem Leben und wilde Tiere faszinierend findet, schon sein Leben lang – und natürlich in den 60ern als Knirps die Serie "Daktari" verfolgt hat - , der plant in jedem Fall einen Besuch im ältesten Nationalpark Kenias: dem rund 120 Quadratkilometer großen Nairobi Nationalpark nur acht Kilometer von der Stadt entfernt, gegründet bereits 1946.

Aber wie kommt man hin und hinein und durch und zurück? Mit Sabine Bohland. Die Redakteurin des WDR-Formats "die story" macht zurzeit Studiovertretung in Nairobi. Und kennt sich aus. Von 1997 bis 2002 war sie Auslandskorrespondentin im ARD-Studio der kenianischen Hauptstadt. Und damit die Nairobi-Neue aus Frankfurt nicht vom Büffel gejagt und von Zebras ausgelacht wird, schnallt sie sie auf den Beifahrersitz und zeigt ihr die wilden Tiere Afrikas.

"Da! Büffelkacke, die ist noch frisch", sagt Sabine, "die können nicht weit sein." Während sie souverän den Geländewagen über die rotsandigen, rumpeligen Pisten lenkt, sitze ich nebendran, mache Augen so groß wie der Viktoriasee und suche Tiere aller Art. Wildnis. Wildlife. Endlich. Kenne ich bisher ja alles nur aus dem Frankfurter Zoo. Nix gegen unseren Tiergarten, aber naja, der ist elf Hektar groß und da sind nicht die Menschen in Autos gesperrt, wenn sie durchwollen, sondern die Tiere in Gehege.

Büffelkacke also. Alles klar, sawasawa, wie der Kenianer sagt. Wo sind die? Sabine, die Mitdenkerin, lenkt gerade mit rechts in eine Kurve und reicht mir mit der Linken etwas aus ihrer Tasche. "Hier." Ein Fernglas! Aber durchsehen geht nicht während der Fahrt, man hüpft quasi permanent auf seinem Sitz auf und ab – im Gespräch mit den Schlaglöchern. "Da war was", Sabine ist auf dem Quivive. "Mist, hat sich wieder hingelegt." Weil es, endlich, geregnet hat in Ostafrika, steht das Gras hoch und die Tiere können sich ziemlich gut verstecken. Und was kreist da oben? Brauner Kampfadler? Oder Geier gar? Manchmal wäre man besser Ornithologe.

Die Stadt rückt näher

Dann sichten wir tatsächlich Tiere. Störche. Gut, die sind in Deutschland auch ganz schön selten geworden. Aber Störche sind keine Büffel. Dafür stehen plötzlich Eland-Antilopen etwas entfernt am Horizont, zimtwaffelfarben und mit geraden Hörnern zeichnen sie sich gegen die Silhouette der kenianischen Hauptstadt ab. Das dringt gar nicht ins Hirn: Da stehen Elands und dahinter sieht man Nairobi. Die Stadt rückt dreist immer näher an den Park, Rohbauten säumen den Rand des Wildtier-Reservats. Nairobi gibt es erst seit 1896. Damals noch waren die Tiere in der Überzahl, und die Menschen auf der Hut.

"Löwen gibt es hier auch, aber die sieht man selten", sagt Sabine gerade, und ich frage blöde: "Darf man hier eigentlich aussteigen?" Die Afrikaerfahrene hat einmal aussteigen müssen. "Wir hatten einen Platten im Masai Mara Nationalpark. Mussten also den Reifen wechseln. Drei Löwen haben zugeschaut." Sabine schmunzelt. Ich suche Löwen. "Gnus!" Oh Gott, ich denke tatsächlich "Oh Gott", weil ich Gnus sehe. Viele Gnus. "Glückliche Gnus", sagt Sabine. Weil sie so gut gelaunt hin und her rennen.

Ich bin ganz gerührt. Diese abschüssigen, zotteligen Tiere, die im tiefsten Bariton vor sich hinknurren, röhren, oder wie soll man’s nennen? Fremde Vogelstimmen besprechen schon den ganzen Tag geheime Dinge. Und: Rechterhand sehen wir Zebras, viele Zebras. Sie stehen da, schauen zu uns und wieder weg. Zebras und Gnus. "Die ziehen gerne zusammen rum", sagt Sabine. Da will man ja mal mit, eigentlich.

Kadaver am Wegesrand

Der Fotoapparat zählt das 200. Bild, diesmal Gnus, Zebras UND Giraffen auf einem Foto. Wir freuen uns, dass wir so ein Glück haben. "So viele Tiere und so viel verschiedene sieht man nicht oft hier." Und wer sitzt da im Staub? Strauße. Das hält man ja im Kopf nicht aus. Wie eine Übersprungshandlung bei Katzen fangen wir ein Gespräch über Frisuren an. Die langen Haare hat Sabine ab, seit Tochter Nora da ist. "Da kommt man ja nicht mehr zum Frisör." "Ach Sabine? Ist das da hinten ein Nashorn?" Tatsächlich. "Guck mal, es wackelt mit den Ohren." Prima Nashorn.

Traurig ist, als wir den ersten Kadaver entdecken. Es werden mehr als ein Dutzend. "Ungewöhnlich viele." Sie sind verdurstet oder verhungert, Kenia litt unter der schlimmsten Dürre seit zehn Jahren. Es wird einem ganz schlecht, wenn man hier in Reisebüros hört, dass die Inhaber auf gutes Wetter hoffen für die Safaris.

Am Lieblingsplatz von Sabine, Kingfisher Picnic Site, ist ein Wasserloch auf weniger als die Hälfte eingetrocknet. Ein Warzenschwein schaut zu uns rüber und gibt dann Fersengeld.

Dämliche Touris

Dann hält ein Safaribus neben uns, der kenianische Fahrer fragt: "Did you see the lions?" Lions? Löwen? Wo? Wann? Nein. Wahnsinn! Er beschreibt uns den Weg, wir fahren erstmal in die entgegengesetzte Richtung, drehen, und sehen dann schon mehrere Wagen in eine bestimmte Ecke fahren. Da parken sie, die Fahrzeuge, die Menschen starren. Mindestens drei Löwinnen, nur eine ist wirklich gut zu sehen, liegen im Gras und dösen. Wahrscheinlich gerade gut gegessen. Wir wollen gar nicht wissen, wen. Ich bin ganz erschüttert, dass ich so ein starkes Tier da einfach vor mir im Gras liegen sehe. Fast will man weinen, aber warum? Da gehören sie hin, die Gnus, Zebras, Giraffen, Impalas, Löwen. In die afrikanische Savanne. Das stimmigste Bild.

Die Wagen fahren weiter, wir bleiben noch einen Moment und schauen nur. Ein Auto kommt, hält, und alle drei Insassen steigen aus. Steigen aus! Rufen sich zu: "Da, Löwen." Einer macht Anstalten, näher heranzugehen. Die Löwin ist von einer Sekunde zur nächsten gar nicht mehr schläfrig, reckt den Kopf, sieht höllisch wachsam aus. Sabine hält es nicht mehr aus und ruft den Leuten zu, sie sollen sofort wieder ins Auto einsteigen. Zum Glück hören sie auf die Warnung. Wir wollen nicht morgen in der Daily Nation lesen, dass drei Verrückte im Nationalpark vom Löwen verspeist wurden. Von Löwen, die wir tatsächlich auch noch sahen.

Die Welt ist an diesem Tag noch ein bisschen größer geworden.

Suaheli des Tages: Punda milia heißt Zebra.

Lia Venn
veröffentlicht am 26. November 2009 in der Online-Ausgabe der Frankfurter Rundschau.