Nairobi, 17.11.09: Glänzende Schuhe

Vor einem Supermarkt in der Monrovia Street sitzen zwei Männer auf Kisten. Geschäftig laufen Frauen und Männer die Treppen zum Einkaufszentrum hoch, andere kommen raus und laufen treppab Richtung Straße, schwärmen Richtung Moi Avenue oder Uhuru Highway aus. Mindestens fünf Taxifahrer versuchen, die vom Einkauf bepackten Menschen zu Fahrgästen zu machen. 300 Kenia Shilling kostet eine Fahrt innerhalb der Stadt, etwa drei Euro.
Vom Trubel völlig unbeeindruckt sitzen die beiden Männer geduldig auf ihren Kisten. Etwas erhöht sitzen noch zwei Männer auf höheren Kisten. Sie arbeiten, bürsten, färben, begutachten, polieren die Schuhe der wartenden Männer. Diese sind nicht auffällig elegant gekleidet, der eine in Anzughose und Hemd, der andere in Stoffhose und langärmligem TShirt, das am linken Ärmel ein klein wenig ausgefranst ist. Jetzt wechseln ein paar Münzen den Besitzer, die Männer gehen mit ihren glänzenden Schuhen davon. Aufrecht. Selbstsicher.
Die glänzenden Schuhe von Nairobi sind ein Phänomen – für den Gast aus Europa. Für die Menschen hier sind sie eine Selbstverständlichkeit. „Warum jeder auf saubere Schuhe achtet? Darüber habe ich noch nie nachgedacht“, sagt die Geschäftsfrau und Modedesignerin Carol Wahome. Ihre Kollegin Wambui Njogi überlegt kurz. „Wenn du früher mit dreckigen Schuhen in die Schule kamst, wurdest du geschlagen, erinnerst du dich, Carol?“ Carol nickt. „Selbst wer aus dem Slum kommt, säubert, bevor er die Stadt betritt, seine Schuhe. So ist es doch.“ Sie habe nie darüber nachgedacht, sagt Carol Wahome, aber es sei genau so. „Es ist eine Art von Würde“, sagt Njogi.
In den 60er/70er Jahren seien die ersten Kenianer nach Europa gegangen, um dort zu studieren. „Und sie haben den europäischen Lifestyle übernommen“, sagt Carol Wahome nachdenklich. Der Wandel sei relativ schnell gekommen. Man sei von zu Hause fortgegangen, um zu studieren „und entwickelteweitergehende Pläne, als weiterhin traditionell zu leben“. Selbst der Sohn eines Farmers habe die Farm nicht mehr weitergeführt wie sein Vater zuvor. „Schuhe waren ein Teil von all dem“, sagt Carol Wahome, „sie waren nicht afrikanisch. Und dann ein Symbol für den Fortschritt.“ Im wahrsten Wortsinn. „Schuhe sind ein Wert“, sagt Wambui Njogi.Werwelche hat, in einem Land, in dem 40 Prozent der Bevölkerung mit weniger als einem Euro am Tag auskommen müssen, hegt sie, pflegt sie und lässt sie glänzen. Bei den Schuhputzern vorm Supermarkt in der Monrovia Street sitzen bereits die nächsten Kunden. Voller Würde.
Suaheli des Tages: Viatu heißt Schuhe.
veröffentlicht am 17. November 2009 in der Frankfurter Rundschau.