Nairobi

Nairobi, 2.11.09: Ach Afrika. Auf dem Weg nach Nairobi

Nairobi hat schon begonnen. In Bonames. Beim ersten gierigen Blick in den Reiseführer habe ich mich verlesen. Statt Bomas of Kenya, wie ein für Touristen nachgebautes kenianisches Dorf heißt, las ich Bonames of Kenya. Bonames, der wegen einiger Straftäter oft als gefährlich beschriebene Frankfurter Stadtteil, in dem ich seit kurzem wohne. Und dachte: Hey, wer in Bonames lebt, braucht Nairobi nicht zu fürchten. Die Drei-, vielleicht auch Viermillionenstadt wird auch Nairobbery genannt und jeder warnt mit schreckensweiten Augen vor der Kriminalität dort. Aber ich wohne in Bonames, mich kann nichts schrecken.

Von dort fuhr ich dieser Tage mit der U-Bahn zur Arbeit. Die Bahn war sehr leer. Eine Schwarze, die auch in Bonames eingestiegen war, kam den langen Gang entlang, vorbei an vielen freien Plätzen - und setzte sich neben mich. Wir fuhren so dahin.

Nie versäume ich bei klarem Wetter zwischen den Stationen Kalbach und Riedwiese auf den Taunusrücken zu schauen und mich zu freuen, dass er da ist. In diesem Moment machte der Fahrer eine Durchsage. Wir merkten ja, dass die Bahn immer langsamer werde, es gebe technische Probleme, wir müssten in Heddernheim aussteigen. Ich schnaufte ein bisschen und prüfte die Uhrzeit auf meinem Mobiltelefon, dass ich auch pünktlich zur Arbeit komme. Nach einer Weile sprach mich die Frau neben mir auf Englisch an: "So we have to get out of the train?" Yes. So ging die Fahrt noch ein Weilchen. Bis ich die junge Frau einfach fragte, ob ich sie fragen dürfe, wo sie ursprünglich herkomme, und sie: "From Kenia." Nach vielem "No! Really, well, this is so, you know, I will go there, also echt!" meinerseits unterhielten wir uns bis zur Hauptwache.

Christine Mutuku gab mir gute Tipps. Dass ich in Nairobbery auf eine gelbe Linie an den Taxen achten solle, bei älteren Fahrern einsteigen solle, beachten solle, dass Menschen mich einsteigen sehen, keinen Schmuck trage, keine Getränke von Fremden annehme. Frau Mutuku sagte mir auch, dass Frau Maschuai oder so ähnlich von der Deutschen Botschaft in Nairobi super sei, dass ich viele Geschichten erleben werde. Wir haben unsere Telefonnummern ausgetauscht und sind seither in losem Kontakt. Das Leben ist ein bunter Teller.

Das dachte ich auch, als ich die nächste Skurrilität erlebte. Ein Besuch am Niederrhein stand an, Verabschiedung von Mama vor der langen, weiten Reise. "Nairobi? Ach Kind..." Ich lenkte sie mit kleinen Sprachhappen auf Kisuaheli ab, etwa so: "Weißt du , was hakuna matata heißt?" Woher denn. "Es heißt: kein Problem."

Für den nächsten Tag hatten wir eine Wanderung am Wesel-Datteln-Kanal geplant und fuhren in den kleinen Ort Krudenburg, Startpunkt der Wanderung. Als wir unsere Wanderschuhe anzogen, sagte meine Mutter: "Hakuna matata." Wow, dachte ich, das hat sie sich gemerkt. Aber sie zeigte auf das neben unserem parkende Auto, das mit mehreren Aufklebern verziert war: "I love Kenya" war da zu lesen und eben "hakuna matata". Nairobi ist mir von Bonames bis an den Niederrhein gefolgt.

Ach Afrika, was weiß ich denn von Dir? So gut wie nichts. Bei dem Wort Nairobi fuhr sofort ein zebragestreifter Jeep durch den Kopf, ein Löwe schielte um die Ecke und jemand sagte "Daktari". Wie die Fernsehserie. Daktari - das Suaheli-Wort für Doktor. Bilder von Schirmakazien tauchen auf. Fremdes, Neues. Vielleicht uralt Vertrautes? Ach Afrika. Ach so! Na klar! Ich muss ein Visum beantragen!

Als ich wieder zurück in Frankfurt war, kümmerte ich mich darum und rief bei der kenianischen Botschaft in Berlin an. Wie lange es denn mit dem Visum erfahrungsgemäß per Post dauere, wollte ich wissen. Der gebrochen deutsch sprechende Herr am anderen Ende der Leitung fragte, was er dazu sagen solle. Für so was habe er gar keine Zeit. Ich war darob etwas irritiert und hob an, er sei doch schließlich von der kenianischen Botschaft und könne mir doch sicher eine Auskunft geben.

"Kenia! Kenia! Kenne ich", fuhr der Mann ungehalten fort, "aber ich bin Frisör in Frankfurt. Was soll ich tun? Soll ich dem Botschafter die Haare schneiden?" Ich hatte die Vorwahl für Berlin vergessen und behelligte mit meinen Fragen einen Frisör im Bahnhofsviertel. Wir haben dann sehr gelacht. Entschuldigung für das Versehen. Ach was. Hakuna matata.

Nun stand auch die Gelbfieber-Impfung an, samt allen anderen nötigen Pieksern. Und wer steht vor mir in der Impfambulanz der Uni? Das Ehepaar Weber. Wolfgang Weber, Erschaffer des Denkmals für den verstorbenen Gorilla Matze, ist für Arts for Nature auf dem Weg nach Indien. Webers lebten viele Jahre in Nairobi. Sind das alles noch Zufälle? Auf meine Frage, ob es dort wirklich so gefährlich sei, sagte Webers Frau: "In Nairobbery? Aber ja. Erst jüngst ist eine Bekannte von uns erschossen worden." Dann kam die Ärztin, um mir lebende Gelbfieber-Viren in den Oberarm zu donnern. Nairobi hat schon begonnen - auch im Blutkreislauf.

Lia Venn
veröffentlicht am 2. November 2009 in der Frankfurter Rundschau.