Frankfurt, 22.12.09: „Einfahrt, Ausgang, genau, Tschuss“
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Du hast uns verwirrt mit deinem Namen. Das Goethe-Institut kündigte dich als Jackson Mutinda an, wenn ich dich in der Daily Nation so rief, haben alle verdutzt geguckt. Und hier ist dein Autorenname Munyao Mutinda. Wer bist du denn?
(schmunzelt, wie überhaupt sehr oft) Jackson ist mein christlicher Name. Als ich mit neun Jahren getauft wurde, habe ich ihn mir ausgesucht. Ein Freund meines Bruders hieß so, und der war ein toller Kerl, den ich bewundert habe. Munyao ist der Name, den meine Mutter mir gab. Er bedeutet, dass ich während einer schlimmen Trockenzeit geboren wurde. Munyao ist vielen zu schwer auszusprechen. Und weil wir in der Grundschule nicht die christlichen Namen benutzen durften, begannen einige, mich beim Nachnamen, Mutinda, zu rufen, seit der Uni dann alle.
Du hast erzählt, ein Engländer habe Dir die Schulausbildung bezahlt?
Ja. Mein Vater starb schon sehr früh, meine Mutter konnte nur das Geld für die Ausbildung des Erstgeborenen aufbringen. Aber weil ich ganz gut war, kam ich auf das Starhere Boys Center in Nairobi. Da wurde aber nachher nur die absolute Elite weiter unterstützt. Sie wussten aber, dass ich finanzielle Hilfe brauchte, und suchten in England einen Sponsor für mich. Der hat dann quasi meine ganze Schulausbildung bezahlt.
Die jetzt wiederum anderen zugute kommt…
Ja, ich habe die Schulbildung einer Tochter meiner Schwester bezahlt und jetzt die einer Cousine meiner Frau. Sie ist Waise. Ich weiß, wie das ist, ohne Vater aufzuwachsen, aber als Vollwaise und dann noch als Mädchen? Ohne Bildung haben Frauen in Kenia keine Chance.
Also kann es in der Folge vielen weiteren Menschen helfen, wenn jemand einem Kind in Kenia die Ausbildung bezahlt?
Sicher. Das kann man doch weitergeben. Ausbildung ist das Wichtigste. Deutschland wäre ja auch nicht so wie es ist, wenn Bildung hier nicht so wichtig wäre.
Was wusstest Du über Deutschland, als sich entschied, dass Du nach Frankfurt kommen würdest, und wie hast Du Dir Frankfurt vorgestellt?
Ich hatte tatsächlich absolut keine Ahnung. Ich wusste nur, dass es Europa ist. Ich wusste aus der Schule von Holocaust und Hitler. Und dass Deutschland eines der industrialisiertesten, also kurz gesagt, dass Deutschland ein sehr reiches Land ist.
Und was war Dein erster Gedanke, als Du Frankfurt gesehen hast?
Ich war irritiert von den vielen alten Häusern. Ich hatte eine moderne, reiche Stadt erwartet, mit hohen, gläsernen Gebäuden. Und dann war es ein Dschungel aus Stein. Ich habe solche Häuser wie hier noch nie gesehen, aber deshalb gefallen sie mir.
Wie wirst Du die Stadt Deinen Kindern, Deiner Frau, den Kollegen beschreiben, wie ist Frankfurt?
Kalt. Ich werde ihnen sagen, es ist kalt. Ich wusste, dass es kalt sein würde. Aber ich wusste nicht, wie. Ob überall Eis sein würde, ständig Wolken. Ich wusste wirklich nicht, wie kalt es sein kann.
Was hat Dir besonders gut gefallen und was gar nicht?
Ich bin absolut beeindruckt vom Nahverkehr. Und ich lache mich tot, wenn ihr euch wegen sechs Minuten Verspätung aufregt.
Auf den Zug von Mombasa nach Kisumi, den einzigen Zug in Kenia, wartet man auch schon mal zwei Tage…
Kann passieren. Das wäre hier ein Politikum, oder? Effektivität und Deutschland, das ist eins. Exaktheit. Ganz oft fällt das Wort „genau“. Das ist, was Deutschland reich gemacht hat. Diese Perfektion. Schon Kinder sind offenbar so sozialisiert, dass sie hohe Ziele haben. Das wünsche ich mir für meine Söhne. Dann können sie unserem Land helfen und haben ein gutes Leben.
Und was gefiel Dir nicht so gut?
Ich verstehe nicht, dass so wenig Menschen gut Englisch sprechen. Ich habe das Gefühl, ich müsste Deutsch lernen, um richtige Gespräche zu führen. Ich kann zwar mit Leuten Englisch reden, aber zum Beispiel nicht rumscherzen. Das fehlt mir sehr. In Nairobi halten wir vor der Arbeit erst mal ein Schwätzchen, wir machen Jokes unter den Kollegen, das ist ein guter Start in den Arbeitstag. Ohne die Sprache geht das hier nicht. Oder ich stehe oft auf dem Eisernen Steg und dann finde ich so schön, was ich sehe. Und ich möchte jemanden ansprechen, das teilen. Oder jemanden bitten, ein Foto von mir zu machen.
Aber das dürfte doch kein Problem sein…
Wie man es nimmt. Ich habe einmal eine Frau darum gebeten, die hat mich nicht mal angesehen, ging einfach weiter. Ich habe dann lieber Asiaten gefragt oder Menschen in Gruppen. Ich weiß nicht, wie ich mit den Deutschen umgehen soll, dass sie sich nicht erschrecken und nicht denken: ‚Hilfe, ein Wilder‘.
So schlimm? Da schämt man sich ja…
Achwas, das ist okay. Ich sehe das als Herausforderung. Das Leben ist leichter, wenn man mehr Sprachen kann, habe ich gelernt. Und dass man etwas tolerieren kann, und auch sollte, was man nicht kennt.
Ein paar Worte auf Deutsch kannst Du aber schon. Welche?
Oh, mal sehen: Herren, Damen, Ausgang, Ausfahrt, Eingang, Einfahrt, genau, Tschuss… Tschüss. Ja, Tschuss, Morgen, Tag, Handy für cellphone, drucken, ziehen, Kinder, Kino, Sekunde, Kartoffel.
Apropos, hat’s Dir geschmeckt?
Das Essen? Ja und nein. Die Kombination immer, Fleisch und Gemüse und Kartoffeln. Oder Salat, das ist nichts für Männer, sagt man bei uns. Auch, wie man isst. Dieses mit der Gabel im Salat stochern. Wir können entscheiden, ob wir die Gabel oder die Finger nehmen. Es gibt immer eine Schale mit Zitronenwasser zum Reinigen.
Ihr könnt das auch. Sei froh, dass in Deutschland keiner mit den Fingern isst.
Okay, dann bin ich erleichtert (lacht). Was richtig gut ist, sind die Pommes frites, ich habe noch nie so gute gegessen. Und ich liebe die Kartoffelsuppen, Kartoffelsalat und Frankfurter Würstchen. Was hier ganz anders schmeckt, ist Huhn. Wenn wir entscheiden, heute ein Huhn zu essen, kaufen wir ein lebendes und schlachten es zuhause, bereiten es zu. Das schmeckt ganz anders.
Was gibt es bei Euch an Weihnachten zu essen, wie feiert Ihr?
Wir fahren zu meiner Mutter, sie füttert seit Wochen eine Ziege. Dazu macht meine Frau Pilau und Brot. Einen Weihnachtsbaum haben wir nicht, damit können Afrikaner nichts anfangen. Wir haben auch nicht diese Geschenkpakete. Ich habe für alle neue Schuhe gekauft. Denn neue Kleidung, das ist für Kenianer das größte Glück. Das ist Weihnachten.
Veröffentlicht am 22. Dezember 2009 in der Frankfurter Rundschau.